Louise Penny: Die Reise nach Paris – Der 16. Fall für Gamache, Aus dem kanadischen Englisch von Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck, Kampa Verlag, Zürich 2023, 557 Seiten, €19,90, 978 3 311 12050 6

„War es Industriespionage? Betrug? Geldwäsche? Was hatte diese junge Journalistin in den Bergen von Patagonien entdeckt? Und was hatte ein vor vier Jahren in Kolumbien entgleister Zug damit zu tun? Irgendetwas gab es da. Etwas, das schrecklich genug war, um deswegen zu töten. Und er hatte nur ein paar Stunden, um es herauszufinden.“

In diesem  sechzehnten Band hat sich Louise Pennys Hauptfigur Armand Gamache, Leiter der Mordkommission der Sûreté du Québec, mit seiner Ehefrau Reine-Maria nach Paris begeben, denn seine Kinder, Daniel und Annie, leben wiederum mit ihren Familien neuerdings in der glamourösen Hauptstadt von Frankreich. Auch Armand hat gute Erinnerungen an die Stadt, immerhin hat er hier seiner Frau einen Heiratsantrag gemacht. Außerdem ist er immer mit seinem Patenonkel, dem heute dreiundneunzigjährigen Stephen Horowitz, Armands Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen, da war der Junge neun Jahre alt, oft nach Paris geflogen. Hier lebte auch die Großmutter und sie hat Armand ihre Wohnung vermacht. Anlass für den Familienbesuch ist ein wunderbares Ereignis, Annie erwartet in Kürze ihr zweites Kind. Jean-Guy, bester Freund und einstiger Kollege von Armand, wird nun Vater und außerdem hat er seine neue Stelle bei einer großen Technologiefirma angetreten. Dieser Arbeitsplatz wurde, was Jean-Guy nicht weiß, vom immer noch einflussreichen Finanzmagnaten Stephen eingefädelt. Allerdings fühlt sich Jean-Guy bei GHS Engineering nicht sonderlich wohl und irgendwie fehl am Platze, was seine Kolleginnen ihn auch spüren lassen.

In der doch sehr aufgeblähten Handlung mit unzähligen Personen muss Louise Penny erst mal alle Familienkonstellationen aufdröseln und die Figuren einführen. Verführerisch ist es natürlich auch immer Pariser Flair und Geschichte in die Beschreibungen einzuflechten und zu betonen, dass die Pariser Polizei natürlich abschätzig jemanden von der Polizei aus Kanada behandelt.

Alles könnte jedenfalls so wunderbar sein. Doch nach einem Essen der Familie mit Stephen wird dieser von einem weißen Lieferwagen eindeutig in Tötungsabsicht angefahren. Da Armand den Polizeipräfekten von Paris, Claude Dussault, kennt, wird dieser Fall dann doch nicht nur als Unfall mit Fahrerflucht behandelt. Als Armand einen Hotelschlüssel bei Stephens Sachen findet, ist klar, er war bereits schon Tage vorher in Paris und offenbar in geheimer Mission, denn er hat natürlich eine Wohnung in der Stadt. In dieser Wohnung entdecken Armand und Reine-Maria dann einen Toten. Der Kanadier und Ingenieur Alexander Plessner wurde auf Geheimdienstmanier hingerichtet und Armand vernimmt einen eigenartigen, strengen Duft ( das Kölner Eau de Cologne 4711 ), den er nur vom Polizeipräfekten kennt. Ist dieser in die Mordfälle verwickelt? Unterlagen von GHS Engineering, die in Stephens Sachen gefunden werden, knüpfen dann eine Verbindung zu Jean-Guys neuem Job und auch zu Daniels neuer Arbeit bei der Bank. Was hat Stephen, der mit Verve Korruption und Industriespionage bekämpft, bei GHS Engineering entdeckt? Dass Armands Familie von allen Seiten eingeschüchtert wird, ist sehr offensichtlich, insbesondere als Claude Dussault alle auffordert, Paris zu verlassen. Die Sicherheitsfirma von GHS Engineering und dem Hotel, in dem Stephen eingecheckt hatte, versucht immer wieder Armand und seine Kinder zu verunsichern. Hinzu kommt noch, dass Daniel ein sehr schlechtes Verhältnis zu seinem Vater Armand hat und niemand weiß, warum der Sohn den Vater so vehement ablehnt. Armand findet heraus, dass Stephen seine wertvolle Gemäldesammlung zu Geld gemacht hat, um sich einen Sitz im Vorstand von GHS Engineering zu erkaufen. Doch was hat er herausgefunden, dass seine Anwesenheit bei der Vorstandssitzung verhindert werden muss und sogar ein Mensch getötet wird? Es geht um ein Projekt in Patagonien, doch was haben die Seltenerdmetalle mit allem zu tun? Als Daniel dann entführt wird, um Armand zu zwingen, ein bestimmtes Dokument, nach dem die Kriminellen verzweifelt auf der Suche sind, zu finden, eskaliert die Handlung, denn plötzlich wird erschreckend deutlich, dass auch der Polizeipräfekt auf der falschen Seite stehen könnte.

Dass alles nicht so schlimm kommt, wie vermutet, tröstet ein bisschen beim Lesen. Realitätsnah jedoch, da vorstellbar, entwirft Louise Penny einen glaubhaften Plot, der voller Spannung zeigt, wozu große, unbarmherzige Unternehmen fähig sind. Sie gehen über Leichen hinweg, um zu vertuschen und von sich selbst ein moralisch einwandfreies Bild zu zeichnen. Dass ein sehr alter Mann diesem Treiben Einhalt gebieten muss, ist schon sehr bedenklich.

Vielleicht ist die Geschichte voller privater, wie gesellschaftlicher Konflikte, bis hin zu Episoden aus Armands und Stephens Leben, ein bisschen zu lang geraten und vom dramatischen Erzählbogen einfach zu weit gespannt, bleiben Armand Gamache – Fans allerdings ihrem Ermittler treu und lesen diesen dicken Band bis zum Ende.