Georg M. Oswald: Vorleben, Piper Verlag, München 2020, 215 Seiten, €22,00, 978-3-492-05567-3

„Konnte jemand, der sich ihr gegenüber so arglos und vertraut verhielt wie er, in irgendeine grauenvolle Angelegenheit verwickelt sein? Selbstverständlich konnte er.“

Schnell verlieben sich die beiden und noch schneller zieht sie in seine riesige Wohnung, die im gut betuchten Münchner Glockenbachviertel liegt. Daniel, der Cellist mit exzellentem Ruf, öffnet sein Herz und alle Türen seines ausgenommen luxuriösen Apartments für Sophia, der Journalistin aus Berlin-Kreuzberg. Sophia konnte früh einen guten Start als Reporterin hinlegen und so ihrem kleinbürgerlichen Milieu entfliehen. Doch mit der Krise der Medien und vor allem auch im Printjournalismus hangelt sie sich von einem Auftrag zum nächsten mehr schlecht als recht.
Doch das Honorar für den Text des Veranstaltungsheftes, dass sie für das Staatliche Sinfonieorchester schreiben soll, ist mehr als großzügig. Sophia bekommt dank Daniel den Auftrag und fühlt sich unsicher, da sie weder musikalisch vorgebildet ist, noch eine Konzertgängerin. Geplagt von Minderwertigkeitsgefühlen, im Grunde nicht die herausragende Eigenschaft von Journalisten heutzutage, reist Sophia nun mit dem Orchester von Konzert zu Konzert. Ihr Text erscheint, aber niemand bricht in Lobeshymnen aus, außer Daniel. Als Liebender ist er nicht mehr objektiv, denkt Sophia.

Zeitversetzt erzählt Georg M. Oswald von Sophias verzweifelten Versuchen, sich ihrem „Projekt“, wie Daniel es nennt, zu nähern. Ein Roman soll es werden. Sophia wohnt nun bereits ein halbes Jahr bei Daniel und hat alle Zeit der Welt und doch spürt sie im gediegenen Ambiente von Daniels Wohnung den Druck und die Erwartungshaltung ihres neuen Partners. Nach außen hin scheint es so zu sein, dass ein 48-jähriger Erfolgsmensch sich eine zehn Jahre jüngere Frau Nobody gesucht hat und sie mit seinem Luxus überhäuft. Sophia spürt das Ungleichgewicht, denn er hat alles, was sie gern hätte: berufliche Anerkennung und Talent, eine schöne Wohnung und ein finanzielles Polster.

In Rückblenden schreibt Sophia über die bisher verbrachte Zeit mit Daniel, einem Mann, der Tagebuch schreibt und mit Freunden ein kleines Pastaessen ausrichtet, bei dem nur berühmte Münchner vorbeischauen und sie als neue Freundin des weltbekannten Cellisten mit Umarmungen begrüßen. Nicht eine Sekunde kann die blonde, so attraktive Sophia das Gefühl von sich weisen, dass sie als Hochstaplerin in das Reich eines berühmten Mannes eingedrungen ist. Ihr Scheitern scheint vorprogrammiert angesichts seines generösen Verhaltens und Vertrauens in ihre Fähigkeiten. Alles könnte so wunderbar sein, wäre da nicht die Eifersucht auf sein Vorleben, die Einsamkeit während seiner Konzertreisen und der Wermutstropfen, dass Daniel seit drei Jahren geschieden ist und seine elfjährige Tochter Marie kaum sieht. Sophia hatte in ihrem Vorleben bereits die Erfahrung gemacht, dass das Leben mit einem Partner, der Kinder hat, äußerst schwierig sein kann.

Als Daniel wieder mal auf Konzertreise geht, wagt sich Sophia in sein Zimmer und schaut sich ein Fotoalbum an. Hier entdeckt sie ein Polaroid mit dem Bild einer Frau, das sie in einem Sachbuch über das Glockenbachviertel wiedererkennen wird. Nadja Perlmann wurde 1989 getötet und ihre Leiche zerstückelt in München verteilt. In einem Schließfach fand die Polizei ihren abgetrennten Kopf. Sophia beginnt nun, im Internet zu recherchieren und nach und nach rollt sie diesen Fall der jungen, ungehemmt und frei lebenden Frau auf.

Wie gut kenne ich meinen Partner, der bereits auf ein langes Vorleben zurückschaut? Was erzähle ich von mir, was will meine neue Liebe über Ex-Partner hören?
Diese Gedanken schwingen mit, wenn Sophia, die am Ende auf tragische Weise alles richtig macht und nach und nach ein Geheimnis lüftet, das letztendlich alles zerstören wird.

Georg M. Oswald, von Hause aus Anwalt in München, hat einen Pageturner geschrieben, der den Leser intelligent gefangen nimmt und erst beim letzten Satz wieder frei lässt.