Dora Heldt: Mathilda oder irgendwer stirbt immer, Deutscher Taschenbuch Verlag, premium, München 2020, 454 Seiten, €16,90, 978-3-423-26249-1

„Es war ein Unfall gewesen, sagte sie sich, ein blöder Unfall. Nur konnte man ihn so schlecht erklären. Tod durch eine gefrorene Gans. Die jetzt auch wieder in der Truhe lag. Ganz unten, sicherheitshalber.“

Alle romantischen Vorstellungen von einem erfüllten, harmonischen Leben mit Familie, Hund und Federvieh auf dem Land, in einem kleinen verträumten Dorf verliert jeder, der diesen Roman von Dora Heldt liest. Dettebüll, in der Nähe von Hamburg gelegen, heißt der Ort, in dem die jetzt sechzigjährige, immer gut gelaunte Mathilda mit ihrem pensionierten, ziemlich schweigsamen Mann Gunnar seit gut vierzig Jahren Tür an Tür mit ihrer Mutter Ilse wohnt. Sie bekocht ihre Mutter, fährt sie zu Arztterminen und zur Fußpflege. Immer hat sie ein Lächeln im Gesicht, wenn Ilse ihr Gift versprüht, sie herumkommandiert und alle Arbeiten erledigen lässt. Sie wiederholt gebetsmühlenartig, dass ihr Mann aus Bremen stammt, wenn die Mutter ihn abschätzig und immer wieder als „Polen“ bezeichnet. Wäre es nach Ilse gegangen, dann hätte Mathilda den Nachbarssohn Nils geheiratet, aber den hat nun Irene abbekommen. Da die Türen in Dettebüll nicht abgeschlossen werden, steht besagte Irene auch zu allen möglichen Tageszeiten in Mathildas Wohnung und berichtet vom neuesten Tratsch im kleinen Dorf. Alle sind irgendwie miteinander verwandt und zerstritten.
Am liebsten würde Mathilda sich mit ihrer bunten Zeitung, die sich in ihren Artikeln ausführlich mit den erdachten Problemen der englischen Königsfamilie beschäftigt, zurückziehen und ihre Ruhe haben, denn die liebt sie über alles. Aber mit der Stille und scheinbaren Friedfertigkeit ist es bald vorbei. Zumal der scheinheilige Bürgermeister Harald Wiesner neuerdings versucht, brach liegende Wiesen im Umkreis aufzukaufen und Nachbar Nils, der sich neuerdings wie ein 16-Jähriger kleidet, macht ihm Konkurrenz. Max, der Sohn von Mathilda, hatte per Zufall von seiner neuen Freundin Alina, die im Husumer Bauamt arbeitet, gehört, dass demnächst eine Siedlung in der Nähe von Dettebüll geplant ist. Alles streng geheim und nicht uninteressant offensichtlich für die, die ihre lieben Mitbürger übers Ohr hauen.

Auch Pit, der in Hamburg eine Kneipe betreibt, der Bruder von Mathilda, taucht wiedermal im „Drecksdorf“, wie er es bezeichnet, auf. Seine Mutter Ilse will er sicher nicht besuchen, sondern seinen Kumpel Eddie. Bei ihm muss er zwei Päckchen Kokain deponieren, die einem Wunder gleich kurz vor einer Polizeirazzia aus heiterem Himmel in seine Hände geflogen sind.
Auch Nele, Mathildas gut verheiratete Tochter mit Zahnarzt und Zwillingen, lässt sich blicken.
Ihr feiner, wie arroganter Mann wird erneut Vater, allerdings von seiner Sprechstundenhilfe, mit der er nun zusammenziehen will. Nele muss aus der schicken Eigentumswohnung raus, wenn sie ihn nicht auszahlen kann. Als Krankenschwester jedoch, die in den Beruf nun wieder einsteigen muss, verdient sie sicher nicht genug, um ihren Lebensstandard zu halten. Kaum ist Nele im Elternhaus steht auch schon Irene auf der Matte und fragt nach dem treuen Ehegatten von Nele. Mathilda würde am liebsten über alles schweigen, so wie sie immer jeden Konflikt unter den Teppich geschoben hat. Aber Nele nimmt kein Blatt vor den Mund und Irene hat gleich wieder Stoff zum Tratschen. Mathilda kann der Tochter kaum unter die Arme greifen, denn die Besitzer des Hofes sind nicht sie und ihr Mann, sondern die streitsüchtige, vergrämte Mutter Ilse. Jeden Abend raucht sie genüsslich eine Zigarette vor dem offenen Schlafzimmerfenster ihrer Tochter. Gunnar nervt dies maßlos. Ja, bis Mathilda plötzlich eine gefrorene Gans aus der Hand fällt und Mutter vom Stuhl fällt und tot ist. Der angetrunkene Dorfdoktor kommt von seinem Skatabend und schreibt den Totenschein aus. Mathilda atmet durch und das Leben könnte nun endlich beginnen, doch darauf freut sie sich zu früh. Reist doch ihr Bruder Pit mit einer chinesischen Frau an. Diese scheint naiv zu sein, aber auch gleichzeitig hinterhältig und verschlagen. Immerhin durchwühlt sie in Mathilda und Ilses Haus alle Schränke und macht sogar vor Mathildas Unterwäsche nicht Halt.
Und so trudelt die Handlung, deren Verlauf jeder vorausahnen kann, immer weiter bis zum Happy End.

Dora Heldt reiht ein abgegriffenes Klischee ans andere, ihre Figuren sind holzschnittartig gezeichnet, entweder zutiefst böse oder wunderbar strahlend gut. Da gibt es die Dorfgeheimnisse, wer nun wessen Sohn ist, und die Ressentiments gegen Bürger nichtdeutscher Herkunft, ob sie nun gebrochen Chinesisch sprechen und dabei doch eigentlich Muttersprachler sind. Nach Oma Ilse, die nie eine richtige Oma war, sinken noch der unsympathische Nachbar Nils und der geldgierige, kriminelle Bürgermeister ins dunkle wie kühle Grab. Ob der Dorffrieden mit der Aussicht auf hohe Zahlungen für ungenutzte Wiesen und Weiden und eine neue Siedlung in der Nähe wiederhergestellt wird, wer weiß.

Richtig schräg oder gar witzig ist diese Dorfgeschichte voller Hobby – und Profikillern leider nicht.