Eric Berg: Die Mörderinsel, Limes Verlag, München 2020, 480 Seiten, €15,00, 978-3-8090-2661-7

„Und genau dort waren binnen eines Jahres sechs Menschen eines gewaltsamen Todes gestorben – zwei hatte man mit durchtrennter Kehle im Wald gefunden, vier waren einem Brandanschlag zum Opfer gefallen. Einige Medien hatten dem betulichen Usedom daraufhin den Titel ‚Mörderinsel‘ verliehen, was ich ungerecht fand.“

Einsame Reetdachhäuser, Fischer, die ihre Netze vor den Häusern zum Trocknen spannen, Wälder, das Achterland, weiße Villen und natürlich die malerische Ostsee – Usedom – die herrliche Insel im Osten Deutschlands – eine Mörderinsel?
Eric Berg rollt seinen Krimi fast vom Ende her auf. Der Hotelbetreiber Holger Simonsmeyer wurde beschuldigt, die junge Susann Illing ermordet zu haben. Vom Gericht aufgrund der mangelnden Beweislage freigesprochen, wird er kurz nach der Freilassung in seinem Cottage durch einen Brandanschlag getötet. Vor Ort recherchiert die Gerichtsreporterin Doro Kagel, denn Bettina Simonsmeyer, die nie an der Unschuld ihres Mannes gezweifelt hatte, hatte sie kurz vor ihrem Tod angerufen. Doch Doro hatte ihren Hilferuf nicht hören wollen. Usedom ist eine kleine Insel, in den Orten kennt jeder jeden und viele sind auch verwandtschaftlich verbunden. Holger Simonsmeyer hatte im Prozess zu allem hartnäckig geschwiegen. Diese stoische Ruhe ist Teil seines Charakters.

Nach seiner Freilassung jedoch wurde seine Familie von den Ortsbewohnern regelrecht gemobbt, die Zulieferer kündigten die Verträge und Bettina stand somit vor einem Scherbenhaufen. Von den Nachbarn beäugt und bedroht, fühlte sie sich nicht mehr sicher. Eine Bürgerwehr rottete sich mit den üblichen Verdächtigen zusammen, um die Mädchen, die abends noch unterwegs waren zu schützen. Doro trifft vor Ort den Staatsschützer Carsten Linz, auch er recherchiert, zumal ein zweiter Mord an einem jungen Mädchen aus einer indischen Familie, die ein Restaurant auf Usedom betreibt, geschieht.

Doro besucht die völlig deprimierte Mutter von Susann, befragt die Schwester Mareike und versucht sich ein Bild von dem jungen Opfer zu machen. Susann war ambitioniert, geschäftstüchtig und vor allem hatte sie einen absoluten Gerechtigkeitssinn. Bei Einkommenssteuerabrechnungen, die sie u.a. für den Inhaber des indischen Restaurants erledigte, würde sie nie betrügen. Doro befragt auch die Freundin Kathrin Sibelius und findet per Zufall im Zimmer von Susann Papierkügelchen, auf denen Susann verschlüsselte Haiku verfasst hat. Nach und nach versteht Doro die dreizeiligen Kurzgedichte und kann sie Personen im Ort zuordnen. Susanns extreme Neugier und vor allem die Art, wie sie Wahrheiten ans Licht zerren wollte, werden sie das Leben kosten.
Wie in allen Orten gibt es die Gewinnler, die Loser und diejenigen, die die Schwachen unterdrücken. Dass sich aus gut siebzig Leuten schnell eine Bürgerwehr gegen einen Mann bildet, der eindeutig freigesprochen wurde, schürt die Angst vor dem Mob. Zwar hält sein bester Freund Alex immer zu Holger, aber Alex‘ Frau hat sich sofort der Wehr angeschlossen.
Beider Sohn Ben-Luca versteht den Hass nicht, zumal er mit Finn, dem Sohn von Holger, dem auch noch eine große Fußballerkarriere bevorsteht, befreundet ist. Finn wird den Anschlag, bei dem seine Familie und sogar die kleine Schwester von Ben-Luca umkommen, überleben.

Am Ende der Geschichte sind alle Familien, die von außen her sicher als intakt gelten, innerlich zerstört.

Eric Berg legt in alle möglichen Richtungen Spuren, die der Leser gedanklich verfolgt. Allerdings zieht sich die Krimihandlung in die Länge und eingebaute Aus- und Rückblicke erhöhen die Spannung kaum. Der Plot wirkt recht konstruiert. Am Ende jedoch wird ein wahrer ernsthafter Konflikt nur angerissen und als Mordmotiv mit Minderheitenproblemen und aktuellen Hasstiraden vermischt.