Ottessa Moshfegh: Der Tod in ihren Händen, Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger, Hanser Verlag, Berlin 2021, 256 Seiten, €22,00, 978-3-446-26940-8

„Sie hieß Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie ermordet hat. Ich war es nicht. Hier ist ihre Leiche.“

Diese vier Sätze werden das Leben der Ich-Erzählerin, Vesta Guhl, völlig aus dem Gleichgewicht bringen. Die zweiundsiebzigjährige Frau ist vor einem Jahr tausende Kilometer von ihrem Heimatort nach Levant in Maine gezogen. Hier hat sie sich ein rustikales Waldhaus fernab von Nachbarn mit einem riesigen Stück Birkenwald ausgesucht, um ihren Lebensabend zu verbringen. Die Witwe hat sich den gutmütigen Hund Charlie mit seinem „sonnigen Wesen“ als Gesellschaft zugelegt.
Vesta findet ein sauberes Stück Papier, auf dem mit einer krakeligen Schrift diese vier Sätze geschrieben wurden.

„Sie hieß Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie ermordet hat. Ich war es nicht. Hier ist ihre Leiche.“

Gleich vermutet Vesta, das dies nur ein Jugendlicher, ein pickeliger Teenager, hätte schreiben können. Ist dies nur der Anfang eines harmlosen Schüleraufsatzes oder doch ein seltsames Geständnis? Völlig gefangen von der seltsamen Aussage, glaubt Vesta, dass es sich hier um ein Geständnis handeln könnte. Doch wer ist Magda? Wer ist der Mörder und warum findet man die Leiche nicht?
In ihrer selbstgewählten Einsamkeit entzündet sich nun Vestas Fantasie und Vorstellungskraft an diesen Worten.
Vesta, die nur ihren Charlie hat, gleitet in ihren Gedankenströmen von der Gegenwart in die Vergangenheit. Immer wieder taucht Walter, der Ehemann mit deutschen Wurzeln und einstiger Gelehrter an einer Universität auf. Was für ein Leben hat Vesta an seiner Seite geführt? Was hat das Leben ihr angetan? Sie hatte, und das wird im Laufe der Erinnerungen immer deutlicher, einen Mann, der ein Egomane war. Sie durfte keine Freundinnen haben, dafür hatte er um so mehr Affären mit Studentinnen.
Sie hat keine Kinder, keine Freunde, nicht mal Bekannte.
Vesta versucht einen Garten anzulegen, wie sie es noch nie vorher getan hat. Doch die alte Frau ist verunsichert, sie fühlt sich in ihrem bisher so harmonischen Leben gestört. In ihren Reflexionen über den dominanten Ehemann tauchen immer wieder Kränkungen auf, obwohl Walter gut für sie im Alter vorgesorgt hat.

In ihren Tagträumen entwickelt Vesta nun das Leben dieser ominösen Magda und sie entwirft eine Biografie, die in Belarus begonnen hat und in den USA nun so tragisch enden soll. Einem Kriminalroman gleich konstruiert sie Motive und Verdächtige und ernennt sich selbst zur Detektivin.
Bei all ihren gedanklichen Exkursionen verliert sich Vesta immer mehr in Spinnereien und sie vernachlässigt ihren geliebten Hund, das einzige Wesen, dass wirklich zu ihr gehört. Diese Vernachlässigung wird tragische Folgen mit sich bringen.

Es ist nicht einfach, sich in Vestas Geisteszustand hineinzudenken. Ist sie sympathisch oder eher doch verschlossen und auf eine besondere Art eigenwillig?

Ottessa Moshfegh fordert ihren LeserInnen so einiges ab. Vestas Leben war doch in Ordnung. Ihr tyrannischer Mann ist fort, sie hat genug Geld für einen friedlichen, aber einsamen Lebensabend und schon spielt das Schicksal ihr einen Streich und bringt sie an den Rand des Wahnsinns.

Literarisch überzeugend schreibt die junge amerikanische Autorin von einer Frau fast am Lebensende, die zwischen einem hoffnungsvollen Neuanfang steht und doch in einer tragischen Verirrung in die Dunkelheit abdriftet.