Marie Hermanson: Der Sommer, in dem Einstein verschwand, Aus dem Schwedischen von Regine Elsässer, Insel Verlag, Berlin 2020, 371Seiten, €22,00, 978-3-458-17846-0

„Als Nils Einstein am Rednerpult der Universität sah, wurde ihm klar, warum seine Feinde sich gegen seine Person wandten, obwohl sie ja vor allem seine Theorien ablehnten.
Der Mann mit den dunklen, ein wenig trau gesprenkelten Locken besaß eine eigenartige Ausstrahlung. Er sprach sanft und freundlich, wie ein Vater, der seinen Kindern eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt. (…) Und gleichzeitig hatte Einsteins Erscheinung etwas Ungezähmtes und Unberechenbares….“

Albert Einstein sitzt im Jahr 1923 in seinem Turmzimmer im Grunewald und spürt die gesellschaftlichen Ressentiments, die ihm in Berlin entgegenschlagen. Dabei hat er doch nun endlich den Nobelpreis erhalten. Allerdings konnte er ihn nicht entgegennehmen, da er mit seiner zweiten Frau Elsa im Dezember in Japan weilte. Auf dem 300. Gründungsjubiläum von Göteborg will der berühmte Wissenschaftler ihn entgegen nehmen. Einstein muss seinen Vortrag halten, er bekommt die Preissumme, die er seiner ersten Frau Mileva und seinen beiden Söhnen versprochen hat und alle sind zufrieden. Zu diesem Zeitpunkt engagiert Einstein eine neue Sekretärin und macht sie zu seiner Geliebten. Niemals würde er sich von Elsa trennen. Sie organisiert sein tägliches Leben, packt seine Koffer und ist äußerst gern die Frau vom bekannten Einstein. Eine Liebelei nebenher kann sie tolerieren. Fürs Herz und Bett ist die Geliebte. Könnten doch alle drei unter einem Dach leben. Allerdings wäre Einstein mit diesem Lebensmodell der Zeit voraus.

Marie Hermanson hat für ihren Roman mehrere Erzählperspektiven gewählt. So lernt der Leser das Genie Einstein kennen und reist mit ihm nach Dänemark und Schweden. In der Gegenwart erinnert sich der Pensionär Otto Fuchs 2002 an seine Zeit in Göteborg, als er dreizehn Jahre alt war. Früh ist seine Mutter gestorben, aber sie hat ihm noch ein bisschen Deutsch beigebracht. Otto gelangt mit seinem Esel Bella nach Göteborg, arbeitet beim Kinderzirkus und wird Einstein treffen, ihn an seine Söhne erinnern und sogar zu seinem Vortrag eingeladen werden. Für Otto ist Einstein „Onkel Albert“, ein freundlicher Mann. Einstein hat aber auch Nils Bohr in Kopenhagen getroffen und mit ihm stundenlang über physikalische Probleme diskutiert. Natürlich lernt Einstein auch die Familie Bohrs kennen. Auch sie sind Juden. Er fragt sich im Stillen, warum nur er Todesdrohungen zugeschickt bekommt.

Dann lernt der Leser Ellen Grönblad, eine junge engagierte Journalistin kennen, die zur Zeit der Ausstellung in Göteborg für die Zeitung „Krone und Löwe“ über die Atmosphäre bei der Ausstellung schreiben soll.
Sie wird ebenfalls Einstein begegnen und sogar seinem widerlichen Gegenspieler, Paul Weyland.
Als Hochstapler und Antisemit organisiert Weyland einflussreiche Kräfte, um Einsteins Ruf als Wissenschaftler zu vernichten. Mit allen Mitteln versucht Weyland, dem armen Einstein zu schaden. Da wird er aus dem Zug geschubst und sein Essen wird vergiftet. Ellen und Oberwachtmeister Nils Gunnarson, auch er berichtet aus seinem Blickwinkel von der aufregenden Zeit 1923, kümmern sich letztendlich darum, dass Einstein in Schweden nichts geschieht.

Marie Hermanson entwirft mit Hilfe ihrer Protagonisten ein Bild von der Zeit um 1923 in Schweden zwischen Tradition und beginnender Moderne.
Viele Figuren sind fiktional, einige jedoch haben wirklich gelebt, so die Geliebte von Einstein und Paul Weyland. Details aus dem Roman haben einen wahren Hintergrund und sind ebenfalls geschichtlich verbürgt, vieles andere allerdings ist erfunden.

Marie Hermanson erzählt anschaulich, temporeich und atmosphärisch dicht. Wer sich ein Bild von der Zeit rund um Einsteins Leben machen will, ist mit diesem Roman gut beraten.