Anne Enright: Die Schauspielerin, Aus dem Englischen von Eva Bonné, Penguin Verlag, München 2020, 304 Seiten, €22,00, 978-3-328-60134-0

„Als Teenager verwendete ich meine Energien darauf, vor meiner Mutter wegzulaufen beziehungsweise zu ihr zurück. Wir hatten schon zu zweit mehr als genug Liebe und Ärger, wir waren ständig miteinander beschäftigt und hatten keinen Bedarf an einem „Vater“, der sich eingemischt hätte und eingeschritten wäre. Wir kamen ziemlich gut ohne ihn zurecht, besser gesagt ohne sie alle: den guten Mann, den bösen Mann, den Geliebten, das Monster, den Vampir, den Ritter in der schimmernden Rüstung, diese vielen unterschiedlichen Männer, die die Abwesenheit meines Vaters freigesetzt hatte.“

Wie lebt es sich mit einer berühmten Mutter, deren Gesicht alle kennen und jeder sich ein Urteil erlauben darf? Vor allem können fremde Menschen über die Mutter schreiben, ohne sie wirklich zu kennen. Norah kann das nicht mehr dulden. Sie ist selbst Schriftstellerin und so beginnt sie ihr Projekt: Das Leben der eigenen Mutter zu erzählen. Sie berichtet von sich als „Tochter von Katherine O’Dell“. Präsentiert hat sich die Mutter immer als Irin, ihr schien das für eine Karriere in Hollywood interessanter. Dabei wurde die Mutter in England als Spross einer Schauspielerfamilie geboren. So schnell wie der Flug ihrer Karriere nach oben ging, so schnell sauste die Mutter auch wieder in die Vergessenheit. Bereits mit fünfundvierzig Jahren war sie vom Alkohol gezeichnet und sie verstarb 1986 mit achtundfünfzig Jahren.

Anne Enright lässt ihre Erzählerin nie chronologisch berichten. Sie springt in ihren Reflexionen und Gedankenströmen mal in die Zukunft, dann wieder in die Vergangenheit. Klar wird nach und nach wie kompliziert das Leben der Mutter war und so auch ihre Beziehung zur Tochter, aber auch zu Männern. Immer wieder kommt die Mutter mit ihren Ansichten zu Wort und immer schwankt sie zwischen dem realen Dasein mit all seinen Freuden, aber auch Abgründen und dem Scheinleben einer Frau auf der Bühne oder im Film.

Die Tochter spricht in ihren Aufzeichnungen immer ihren Ehemann an, mit dem sie bereits lang verheiratet ist, und sucht so sein Verständnis als auch das des Lesenden.
Immer wieder kommt zur Sprache, dass die Mutter 1980 den Filmproduzenten Boyd O’Neill angegriffen und in den Fuß geschossen hat. Zu diesem Zeitpunkt war die Tochter achtundzwanzig Jahre alt.

In detailreichen Recherchen der Tochter blättert sich das wechselvolle Leben der Mutter zwischen den USA und Irland auf. So begegnete der Mutter angeblich Orson Welles, um sie kurz in Augenschein zu nehmen. Das amerikanische Studio kreierte für Katherine wie schon bei anderen Schauspielern, wie Elizabeth Taylor, eine Scheinehe mit einem anderen Schauspieler, Philip Greenfield. Eine Tragödie wie so oft. Greenfield war schwul und Katherine versorgte sich ihn mit Schlaftabletten und Alkohol. Auch nach der Scheidung hielt sie loyal zu ihrem Ex-Ehemann, nahm nebenher Schauspielunterricht und lebte als Puppe ein choreografiertes, glamouröses Leben in Hollywood.

„Meine Mutter konnte sich mühelos in eine Figur verwandeln und wieder zurück, vor meinen Augen. Sie verschob eine Schulter, senkte die Mundwinkel, veränderte den Blick.“

Zurück nach Irland kehrt Katherine 1952 mit einem Baby. Doch wer ist der Vater? Die Tochter wird dieser Frage nachgehen und verzweifelt vor Haustüren und Männern stehen, die sie abweisen.
Die Karriere der Mutter stagniert nun, obwohl sie Liebhaber hat und eigentlich auch reich hätte heiraten können. Geld ist immer ein Problem, erst für den „alten Hurenbock“, den Schauspielervater von Katherine, der einfach ein großer Künstler war und doch viele Schulden hinterließ und später für das eigene Leben.

Das eigene Leben in den Griff zu bekommen, wenn man nur „die Tochter von …“ ist, scheint eine Qual zu sein. Ein weiteres gutes Beispiel aus dem wahren Leben wäre die Tochter von Marlene Dietrich, die ihren Frieden mit der Mutter auch erst nach ihrem Tod schließen konnte.

„Kaum etwas ärgerte mich an meiner Mutter mehr als das Beharren darauf, dass sie anderswo hätte glücklicher sein können.“