Sigrid Nunez: Was fehlt dir, Aus dem Amerikanischen von Anette Grube, Aufbau Verlag, Berlin 2021, 222 Seiten, €20,00, 978-3-351-03875-5

„Ich will Frieden, sagte sie jetzt oft. Wo bleibt deine Abenteuerlust? Als ob mich das jemals überzeugen könnte! Der wahre Grund, warum ich zugestimmt hatte, meiner Freundin zu helfen, war, dass ich hoffte, an ihrer Stelle genau das tun zu können, was sie jetzt tun wollte. Und auch ich hätte jemanden gebraucht, der mir half.“

Die Ich-Erzählerin, eine Autorin, besucht ihre Freundin, die sie seit gut zwanzig Jahren kennt, im Krankenhaus. Vielleicht ist Freundin zu weit gegriffen, so nahe stehen sich die beiden Frauen gar nicht. Aber beide verbindet die Erinnerungen an eine erste feste Arbeit bei einer Literaturzeitschrift und die Erlebnisse mit lebenden und auch bereits verstorbenen Kollegen. Die Freundin begibt sich mit ihrer Krebserkrankung in die Hände der Ärzte, die eine neue Therapie versuchen wollen. Als die Mutter die weit entfernt lebende Tochter zu ihrer Meinung befragt, kommt nur eine desinteressierte Reaktion. Mutter und Tochter kamen nie gut miteinander aus. Die Tochter beschuldigt die Mutter ihr den Vater vorzuenthalten, dabei wollte der Vater nie Kontakt. Ein trauriges Familiendrama.
In vielen kurzen Szenen berichtet die Ich-Erzählerin nun von Anekdoten, Erinnerungen und Zufallsfunden aus Büchern und Filmen, Erfahrungen und Begegnungen. So nimmt sie an einem Vortrag ihres Ex-Mannes teil, der den Untergang der Menschheit beschwört, mit niemanden diskutieren will und eigentlich nur seinen bereits bekannten Vortrag vorliest. Auch sein einziger Sohn redet nicht mehr mit ihm, da der Vater sich nicht über ein drittes Enkelkind freuen kann. Das Unheil ist gesetzt. Die Freundin wird sterben, die Therapie hat nicht die gewünschte Wirkung gezeigt. Die Ich-Erzählerin soll nun die Freundin auf diesem letzten Weg begleiten. Ihre eigenen engen Freundinnen haben abgelehnt, die Tochter muss gar nicht gefragt werden. Ein schöner Ort wird gesucht, die Ich-Erzählerin soll einfach nur da sein. Wann die Kranke den Suizid begeht, wird nicht kommuniziert.
Die New Yorker Autorin Sigrid Nunez schreibt unsentimental und fast nüchtern und doch klebt man an jedem Wort. Sie hat ein kluges Buch mit vielen gut durchdachten Sätzen geschrieben, die so leicht wirken und die man sich anstreichen möchte, um sie nicht zu vergessen.

„Jemand hat gesagt: Wenn du in diese Welt geboren wirst, seid ihr zumindest zu zweit, aber wenn du sie verlässt, bist du allein. Der Tod kommt für uns alle, und doch bleibt er die einsamste Erfahrung des Menschen, die uns voneinander trennt, statt uns zu vereinen.“