Jodi Picoult: Umwege des Lebens, Aus dem Amerikanischen von Elfriede Peschel, C. Bertelsmann Verlag, München 2021, 544 Seiten, €22,00, 978-3-570-10415-6


„Ich bin in den Feuersee zwischen den zwei Routen des Zweiwegbuches eingetaucht. Um mich herum Gebrüll, Rauchschwaden, die sich in meiner Mundhöhle und unter meinen Augenlidern einnisten und beißende Tränen über mein Gesicht laufen lassen. …
Es gibt zwei Wege, die herausführen – Land und Wasser.“

Dawn Edelstein überlebt die Bruchlandung ihres Flugzeuges. Tote sind zu beklagen, aber sie scheint wie Phönix unversehrt aus der Asche zu steigen und ihrem bisherigen Leben den Rücken zu kehren.
Als sie dem Tod in die Augen sehen musste, hat sie nicht an ihren Ehemann Brian oder ihre pubertäre Tochter Meret gedacht, sondern an Wyatt Armstrong. Vor fünfzehn Jahren hat sie schlagartig ihn und ihre Arbeit in Mittelägypten, in Deir e-Bersche bei den Gräbern der Gaufürsten als Doktorandin verlassen, da ihre Mutter im Sterben lag. Ihr Vater verunglückte bereits vor Jahren. Finanzielle Probleme, die Trauer um ihre irische Mutter, die Verantwortung als 25-Jährige für ihren jüngeren Bruder Kieran und vor allem ein tiefes Loch, aus dem sie nur Brian herausziehen konnte, halten Dawn in Massachusetts. Da sie sich durch ihre Arbeit als Ägyptologin bereits mit dem Totenkult der Ägypter intensiv beschäftigt hat, scheut sie sich nicht, Menschen auf ihrem Weg in den Tod zu begleiten. Sie erinnert sich an die letzten Tage mit der Mutter, belegt Kurse und bietet ihre Dienste privat an. Ihre Ehe mit Brian, einem Quantenphysiker scheint nicht mehr so glücklich zu sein. Immerhin verbringt Brian lieber seine Zeit bei einer jungen Mitarbeiterin als beim Geburtstag seiner Tochter. Die vierzehnjährige Meret ist ein ernsthaftes Mädchen, dass sich ebenfalls zu den Naturwissenschaften hingezogen fühlt. Sie leidet unter ihrem Übergewicht und reagiert auf jede freundliche Geste ihrer Mutter aggressiv. Dass sie nicht Brians, sondern Wyatts Tochter ist, stellt sich erst im Laufe der Geschichte heraus.
Als Dawn durch den Absturz das Angebot der Fluggesellschaft für einen Freiflug, egal wohin, erhält, reist sie sofort ohne persönliche Dinge nach Kairo.

In Gedankenströmen berichtet Dawn von ihrer Uni-Zeit in Yale, der ersten Begegnung mit dem ziemlich arroganten Engländer Wyatt und ihren Grabungen in Ägypten. Ihr Spezialgebiet ist das Zweiwegebuch, dass in einer schwarzen und in einer blauen Linie begleitet von Zaubersprüchen den Toten den Weg zu Osiris ebnet. Die Techniken der Einbalsamierung werden erläutert, die Bedeutung und Entschlüsselung der Hieroglyphen wie Grabinschriften und Texten auf den Mumien und vieles mehr. Fachlich ist die amerikanische Autorin tief in die Materie der Archäologie eingetaucht. Die Gräber der Gaufürsten, auch das, das Wyatt 2013 vom Gaufürsten Djehutinacht entdecken und erkunden wird, existiert wirklich.
Dawn wird Wyatt in den Grabungsstätten suchen und sie will, das was sie als Ägyptologin begonnen hat, zu Ende führen. Doch die Techniken haben sich in fünfzehn Jahren geändert, die Lage für Wissenschaftler, die Sponsoren und Geldgeber finden müssen, ist wirklich komplizierter geworden.
Auf einer anderen Handlungsebene reflektiert Dawn über ihre Arbeit als Sterbehelferin und erzählt von Win, ihrer krebskranken Klientin. Dawn verfügt über keine medizinische Ausbildung, sie ist eher für die emotionalen Hochs und Tiefs zuständig und für den Behördenkram, die Beerdigung und vieles mehr. Mit Wen verbindet Dawn vieles, auch das Interesse an der Ägyptologie.

Was wäre wenn? Wäre Dawn mit Wyatt und ihrer Arbeit glücklicher geworden? Was macht ein sinnvoll gelebtes Leben aus? Wie kann man wissen, welche Wege im Leben die richtigen sind?

All diese Fragen wirft Jodi Picoult in diesem gut lesbaren, wie klugen Buch auf. Trotz ständiger Präsenz des Todes ist das Leben das eigentliche Thema und der Humor.