Sarah Pearse: Das Sanatorium, Aus dem Englischen von Ivana Marinović, Goldmann Verlag, München 2023, 512 Seiten, €17,00, 978-3-442-20635-3

„Während sie ein Foto davon macht, versucht ihr Gehirn zu verarbeiten, was sie da gerade vor sich hat. Jemand hat Adele die Finger amputiert und sie dann, eingerahmt von Kupferreifen, in diesem Kasten ausgestellt.“

Hoch in den Bergen der Schweizer Alpen wurde gegen jeglichen Widerstand der Bevölkerung das einstige Sanatorium für Tuberkulosekranke in ein modernes, architektonisch bemerkenswertes, minimalistisches Luxushotel umgebaut. Weit ist der Weg von der Seilbahn zum 5-Sterne-Hotel und das war damals, als es noch Sanatorium war, auch beabsichtigt. Die Kranken sollten zum einen fern von der Stadt frische Luft atmen, zum anderen isoliert werden. Bevor allerdings das Hotel erbaut wurde, verschwand einer der wichtigsten Architekten, Daniel Lemaitre. Die Lesenden wissen, dass er fünf Jahre bevor die spannende Handlung ihren Lauf nimmt, einem Verbrechen, jemand näherte sich ihm mit einer grausigen Gasmaske, zum Opfer gefallen ist. Für Daniel Lemaitre und Lucas Caron, beide in den Dreißigern, war dieses Hotel „Le Sommet“, als Architekt und Immobilienentwickler ein Lebensprojekt.

2020 nun reist die beurlaubte, englische Kriminalkommissarin Elin Warner mit ihrem Freund Will zur Verlobungsfeier ihres Bruders Isaak im tiefsten Winter in dieses Hotel. Beide lernen Lucas Caron und seine Schwester kennen, denn sie führen gemeinsam das Unternehmen. Gedanklich ist Elin immer in der Vergangenheit. Durch ihre eigenmächtige Entscheidung bei einem Kriminalfall wäre sie beinahe zu Tode gekommen. Von dem sogenannten Hayler-Fall kann sie sich seelisch nicht mehr erholen. Durch ihren intensiven Sport ist sie völlig abgemagert. Ihre Nerven sind extrem angespannt, jede noch so kleine Veränderung, auch in Wills Verhalten, verunsichern sie. Fast krankhaft erinnert sie sich jede Sekunde an ihren Bruder Sam, der mit acht Jahren durch einen Unfall ertrunken ist. In ihren Erinnerungen und Flashbacks jedoch gibt sie ihrem Bruder Isaak die Schuld. Beide haben kein gutes Verhältnis, denn sie weiß, dass Isaak mit seinen Lügen bei allem durchkommt. Nicht mal bei der Beerdigung der Mutter, Elin hatte die Krebskranke bis zum letzten Tag gepflegt, war er anwesend. Seit Jahren lebt er schon in der Schweiz und ist, ein wirklich extremer Zufall, verlobt mit der einstigen Jugendfreundin von Elin, Laure. Beide haben sich aus den Augen verloren. Doch nun wird Verlobung gefeiert und Elin, die mit ihren Panikattacken kämpft, soll sich entspannen. Da im Hotel an vielen Stellen mit Artefakten an die einstige Existenz des Sanatoriums erinnert wird, und riesige Glasscheiben Ein- wie Ausblicke gewähren, spürt Elin, dass sie immer unruhiger wird. Als dann Adele und auch Laure verschwinden, Lawinengefahr zur Evakuierung des Hotels führt und eine Leiche außerhalb des Hotels gefunden wird, beginnt die Spannung anzusteigen.

Nicht nur die bedrohliche Natur spielt für Sarah Pearse eine Rolle, sie öffnet mehrere Schauplätze. Da ist der Bruder-Schwester-Konflikt über den Tod des jüngeren Bruders Sam, aber auch Elins Berufsunfähigkeit als Ermittlerin und ihre Unfähigkeit, mit dem sympathischen Will ein normales Leben zu führen. Als dann Adele tot im Pool entdeckt wird und später auch Laure, erwachen in Elin wieder die Lebensgeister und sie beginnt, da niemand von der Walliser Kriminalpolizei ins Hotel kommen kann, zu ermitteln. Klar ist, der Täter oder die Täterin befindet sich unter den Gästen oder dem Personal, die das Hotel aufgrund der Wetterlage nicht mehr verlassen konnten. Da den Leichen immer eine Gasmaske über den Kopf gezogen wurde und ein Kupferreif mit einer eingravierten Zahl in deren Nähe gefunden wird, und später auch ein USB Stick, stellt sich heraus, dass diese Zahl eine Patientenaktennummer aus dem Sanatorium ist. Weiterhin findet Elin heraus, dass das Sanatorium nicht nur Tuberkulosepatienten aufnahm, sondern auch Patienten, Frauen, aus einer psychiatrischen Klinik in Deutschland. Da den Leichen, es werden noch mehr, die Finger entfernt wurden, scheint das ein Hinweis auf den Umgang mit den einstigen Patienten zu sein. Immer mehr Indizien weisen auf das Sanatorium hin und vereitelte Angriffe auf Elin zeigen, man will sie aus dem Weg haben. Allerdings muss die dünnhäutige Ermittlerin auch aufpassen, dass sie sich nicht wieder durch ihre Alleingänge in Gefahr bringt.

Am Ende wird Elin ihren Konflikt mit ihrem Bruder aus dem Weg räumen können, doch jemand scheint ihr nach der Klärung des spektakulären Falles, der nur indirekt mit dem einstigen Sanatorium und den kriminellen Machenschaften der Ärzte dort zu tun hatte, auf den Fersen zu sein. Ein nächster Band wird folgen!

Keine Frage, spannend und gut geschrieben, vielleicht etwas zu überladen mit Konflikten und Zufällen, die nicht mal in der realen Welt glaubhaft wären.