Judith Poznan: Prima Aussicht, Dumont Buchverlag, Köln 2021, 200 Seiten, €20,00, 978-3-8321-8173-4

„Mir macht es Spaß, in meinem Gartenstuhl zu sitzen und Dinge in einen Warenkorb zu packen. Und ich habe eine unausgesprochene Generalvollmacht von Bruno, alles zu kaufen, was meine leere Gebärmutter sich wünscht.“

Wieder ein autofiktional anmutender Roman, der die Leser und Leserinnen auf eine Reise in die Wirklichkeit in Berlin-Neukölln, aber viel mehr nach Brandenburg an einen See und Campingplatz mitnimmt. Judith ist die Ich-Erzählerin und zugleich die Autorin, die durch die sozialen Medien und Artikel in Zeitschriften sich offenbar einen Namen gemacht hat. Nun schreibt sie von sich und ihrem sorgenvollen Privatleben mit Ironie, aber auch einem Hang zur liebevollen Erinnerung an die Zeiten mit Oma Karin und Opa Wolfgang im Kleingarten in der Nähe der Hochhaussiedlungen von Hohenschönhausen. Judith ist keine Frau, die an ihrem lückenlosen Lebenslauf arbeitet, ganz im Gegenteil.
Sie kauft für ihre Parzelle am See einen uralten Campingwagen, der weder einen TÜV hat, noch irgendwie anders vorzeigbar ist. Sie hat keine Ahnung, wie man diesen Campingwagen wieder herrichtet ( Nur Farbe über alles kleistern, ist vielleicht nicht die richtige Art und Weise. Aber nun. ) und ihr Lebenspartner Bruno scheint sowieso, in anderen Sphären zu schweben. Nein, vielleicht muss der Gerechtigkeit halber gesagt werden, er leidet unter Zwangsstörungen. Judith hat extrem Angst beim Autofahren vor Unfällen bei 120 km/h und er hat ebenfalls Angst vor Gefahren im Alltag. Beide leben seit zwei Jahren zusammen und haben „das Kind“. Der zweijährige Sohn, den man gern vor den Fernseher setzt, ist unauffällig namenlos und brav.
Nun wünscht sich Judith trotz finanzieller Abhängigkeit ( Von Zeitungsartikeln und sozialer Medienpräsenz kann man weder eine Familie ernähren, noch eine ordentliche Wohnung bezahlen. ) von Bruno ein zweites Kind. Das wäre dann die vollständige Familie. Sicher kann man mit vierunddreißig Jahren an ein zweites Kind denken, nur im gleichen Atemzug seinem Partner offerieren, dass ja auch ein Samenspender in Frage käme, man würde ja alles dann doch allein stemmen, ziemlich naiv.
Wovon will die Autorin erzählen? Von dem schönen Kinderleben bei Oma und Opa? Von der Campinggesellschaft, in der auch wieder, oh Wunder, Spione ihre Ohren an die Wohnwagenwände legen und ostdeutsche Männer gern berlinern, hilfsbereit sind und keine T-Shirts tragen?

Man kann den Erzählton der Autorin zwischen ernsthaft, lebensnah und irgendwie verspielt mögen und doch bleibt alles an der Oberfläche. Sie erzählt von ihren Erwartungen ans Leben und lässt den Leser nah an sich heran. Nun kann man sie belächeln, ob ihrer Ehrlichkeit, was ihre Rechtschreibfähigkeiten anbelangen und ihrem Berufswunsch und ihrer seltsamen Vorstellung, mit einem Campingwagen spießig zu werden oder sie bewundern, da sie es auf diesem Campingplatz offensichtlich super findet und ihre Campinggenossen gut beobachten kann, so wie diese sie.

Judith hält nicht still, versinkt nicht in Resignation, lehnt sich weit aus dem Fenster, wenn ihr Partner sie gern schließen würde und doch: Soll man sich mit diesem Frauentyp identifizieren?
Ist sie das Gegenbild zu den hippen Prenzlauer Berg – Frauen, die vegan leben, ohne Auto ( Wer fährt eigentlich die dicken SUVs in diesem Bezirk? ) oder Fernseher oder Handys für ihre Kinder aufkommen und in Berufen tätig sind, die gut bezahlt werden und alles besser wissen?