Petra Hammesfahr: Nach dem Feuer, Diana Verlag in der Verlagsgruppe Randomhouse, München 2020, 464 Seiten, €20,00, 978-3-453-29243-7

„Lea hatte es geschafft, war der Zecke entkommen. Es war nicht um Blut gegangen, nur um Geld. Mit dem Begreifen verschwand das Unbehagen beim Gedanken an Mama. Stattdessen empfand er etwas wie Zufriedenheit, vielleicht sogar Stolz, weil er Papa den Gefallen getan und es übernommen hatte.“

Um es gleich vorwegzunehmen, der Einstieg in diese Geschichte fällt ungeheuer schwer, da Petra Hammesfahr ständig in den Zeiten vor und nach dem Feuer hin und her wechselt und von Personen berichtet, die man der bisherigen Handlung nicht zuordnen kann. Erzähltechnik und Struktur sind durchschaubar. Die versierte Autorin will Spannung aufbauen, denn immer endet die erzählte Passage mit einem Cliffhanger. Wenn man allerdings bei der hohen Personenanzahl nicht mehr durchsieht und nicht weiß, wohin führen die detaillierten Ausführungen, ist es schwer durchzuhalten. Doch, dem Leser sei gesagt, das Dranbleiben lohnt sich auf jeden Fall, denn nicht die geldgierige und absolut kalte Serienmörderin steht im Mittelpunkt, sondern das Familiendrama rund um einen Jungen, dem niemand geholfen hat.

Nah an der Grenze zu den Niederlanden in einer Deponie brennt in einem heißen Sommer ein Wohnwagen aus. Ein fünfzehnjähriger Junge kann sich aus den Flammen retten. Eigentlich wollte er, der wie „ein angekokelter Waldschrat“ aussieht und starke Verbrennungen an den Händen hat, noch seine Freunde aus dem Feuer holen, aber eine Polizistin kann ihn zurückhalten. Später wird sich herausstellen, die Freunde sind Plastikfiguren. Im Wohnwagen jedoch wird auch eine Leiche geborgen.
Verschiedene erfahrene, aber auch unsichere Ermittler werden sich mit dem Fall beschäftigen, denn offenbar, und der Zufall spielt in diesem Krimi auch eine Rolle, hat eine Serienmörderin die Finger im Spiel. Sie kennt den seltsamen Jungen. Er ist zur falschen Zeit am falschen Ort. Auf der Suche nach seinem Opa Bernd, die Mutter hat ihn nach acht Jahren Funkstille angeblich zu ihm losgeschickt, ist er im Wohnmobil gelandet.
Niemandem will der Junge seinen Namen sagen. Kommt die innere Stimme des Jungen zu Wort, dann fantasiert das Kind von seiner Mutter und einem schrecklichen Geschehnis. Der Jugendliche wurde gemobbt, misshandelt, ist oft wie im Tran, hat angeblich aggressive Schübe, verletzt dann sich und andere. Geistig ist er auf dem Stand eines Siebenjährigen, aber organisch völlig gesund und auch nicht behindert. Seit der Vater ihn verlassen hat, scheint er in seiner Entwicklung gebremst. Im Krankenhaus wird man von dissoziativer Identitätsstörung sprechen. Es fällt dem Jungen schwer, zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden. Doch dies ist nicht die ganze Wahrheit.

Aus der Rückblende erfährt der Leser stückweise einiges über Robin, den liebevollen aber schwachen Vater des Jungen. In den Passagen, die auch mal etwas chronologisch erzählen, beginnt man sich langsam mit der Geschichte wohlzufühlen. Personen geben Informationen preis und ein erschreckendes Familiendrama kommt langsam zum Vorschein.

Tosca Lackner, die Mutter des Jungen, der David heißt, wurde auf perfide Weise getötet. Sie wurde nicht nur gepfählt, sondern auch geköpft. Nicht klar ist, ob die Vampirsymbolik eine Rolle spielt oder einfach nur ein krankes Hirn sich vergangen hat. Dass Tosca eine Blutsaugerin war, wird in immer neuen Variationen am Beispiel der Ehe mit Robin verdeutlicht. Als Narzisstin und Egomanin lügt sie ununterbrochen, sieht sich selbst immer in der Opferrolle. Jedem in ihrer Nähe schiebt sie gnadenlos die Schuld, an was auch immer, in die Schuhe und macht nicht halt vor ihren kleinen Kindern. Von Tag Eins der Ehe an ist Robin belastet, finanziell und emotional, denn Tosca findet viele Ausreden, um nicht zu arbeiten und doch Wahnsinnsansprüche zu stellen.
Hatte sie es doch geschafft, dass sich Robin gegen seine Eltern stellte. Robin hat seine Frau als Zecke bezeichnet, die er auch nach der Scheidung nicht abschütteln konnte. So redete Tosca ihrer älteren Tochter Lea ein, dass der Vater ein „Kinderficker“ sei, als sie ihre Forderungen nicht durchdrücken konnte. Tosca, die in ihrer Gier hoch gestiegen ist, um tief zu fallen, lebte am Ende von Arbeitslosenhilfe II und der Idee, über einen Mann wieder an Geld zu gelangen.
David hat die Familie seines Vaters nie wirklich kennengelernt und doch war er auf der Suche nach seinen Erinnerungen, die mehr als verschwommen sind. David, der angeblich behinderte Sohn, kann aus dem Gedächtnis präzise zeichnen. Vielleicht eine Hilfe für die Polizei, die lange im Dunkeln tappt.

Petra Hammesfahr taucht tief in die Familienstruktur der Lackners ein. Schuldig geworden sind sie alle, denn niemand, nicht der schwache Vater, nicht die oft bestimmende Oma Luzie, auch nicht der stille Großvater Bernd haben sich wirklich um David gesorgt. Ihm konnte die Mutter alles einreden, was sie wollte, ihn als Spielball gegen die verhasste Familie des Vaters missbrauchen.

Der zweite Teil des Romans haut den Leser wirklich um und versöhnt mit dem holprigen Anfang.