Lina Bengtsdotter: Mohnblumentod, Aus dem Schwedischen von Sabine Thiele, Penguin Verlag, München 2021, 361 Seiten, €13,00, 978-3-328-10397-4

„Sie war der Mensch, der sie war, unabhängig davon, was sie dazu gemacht hatte. Und sie konnte ihr Bestes geben, um sich und anderen Leid zu ersparen. So einfach war es und doch so schwer.“

Die Ermittlerin Charlie Lager aus Stockholm hat so einige Macken. Sie reißt nachts Männer auf, nimmt sie mit in die Wohnung und kann doch nicht an der Seite eines Mannes einschlafen. Immer wieder wandern die Erinnerungen an ihre alkoholkranke Mutter Betty durch ihren Kopf.
Und so zieht sich wie ein roter Faden die komplizierte Konstellation zwischen Müttern und Töchtern durch diesen spannenden Roman.
Alles beginnt mit dem Verschwinden des Babys Beatrice von der Terrasse der wohlhabenden Familie Palmgren. Kürzlich aus Moskau zurückgekehrt, hat Gustav Palmgren seine innovative Website zu einem Milliardenbetrag verkauft. Er und sein Mitstreiter David Jolander wohnen mit ihren Familien in großen Häusern nicht weit voneinander entfernt. Sie sind es gewohnt, dass alles so läuft, wie sie es erwarten. Doch nun wurde das Baby entführt, aber niemand stellt eine Geldforderung. Charlie und ihr neuer Kollege Greger ermitteln, wie es immer so schön formuliert wird, in alle Richtungen.
Parallel zur Entführungsgeschichte, die die Polizei auch durch das Verschweigen vieler wichtiger Details vonseiten der Palmgrens in Atem hält, lernen die Leser Sara und Lo kennen. Beide werden bald achtzehn Jahre alt und wohnen aber immer noch in einem Heim. Saras Mutter ist verschwunden und ihr Vater kürzlich verstorben. Lo wartet inständig auf den Besuch ihrer ebenfalls dem Alkohol zusprechenden Mutter, mit der sie einen Friseursalon eröffnen möchte. Durch Saras Blick gewinnt man einen Eindruck von Lo, die offenbar vieles in ihrer Kindheit und Jugend durchmachen musste.
Klar ist, dass diese beiden Mädchen in irgendeiner Beziehung zu dem verschwundenen Baby stehen.
Je länger die Ermittler sich mit dem Umfeld der Palmgrens, aber auch Frida und Gustav beschäftigen, um so undurchsichtiger wird die Geschichte. Durch Amina, die syrische Putzfrau der Palmgrens, erfährt die Polizei von Fridas psychischen Problemen und der Tatsache, dass sie das schreiende Baby geschüttelt hat. Aminas drei Töchter wurden im Krieg getötet. Ein unglaublicher Schmerz. Frida und Gustav führen keine glückliche Ehe. Er hatte nach der Rückkehr aus Moskau mehrere Geliebte. Nichts bleibt geheim, auch nicht, dass Gustav nicht zeugungsfähig ist.
Als dann klar wird, dass Frida auch nicht die leibliche Mutter ist, schließt sich ein Kreis, der natürlich mit Sara und Lo zu tun hat.

Charlie Lager entpuppt sich als hartnäckig wie sehr direkte und angstfreie Polizistin, die zwar von ihrer eigenen familiären Geschichte innerlich immer noch beeinflusst ist, aber im Ernstfall doch klar und schnell denken kann und um die menschlichen Abgründe weiß.

Das Glück ohne finanzielle Sorgen leben zu können, geht nicht einher mit wirklich privater Zufriedenheit, davon erzählt dieser Roman. Er wirft aber auch gleichzeitig die Frage auf, wie
schwerwiegend gerade für Kinder der Alkohol- und Drogenkonsum eines offenbar großen Teils der schwedischen Bevölkerung ist. Oder ist das nur Fiktion?