Dagmar Schifferli: Meinetwegen, Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2022, 112 Seiten, €18,00, 978-3-7556-0010-7

„Gestern Nacht ist mir aber klar geworden, dass ‚meinetwegen‘ auch eine andere Bedeutung haben kann.
Wieder Ihr Fragezeichen.
Mal sehen, ob ich es Ihnen erklären kann.
Meinetwegen kann eben auch heißen, dass man etwas für sich tun will, sich selbst zuliebe.“

Zwei Menschen sitzen sich gegenüber und einer redet und der andere soll einfach nur zuhören. Jegliche Unterbrechung ist untersagt, nicht mal gehustet darf werden.
Doch nach und nach lösen sich die Regeln auf. Kärtchen dürfen geschrieben werden und somit auch Nachfragen ermöglicht.

Katharina ist siebzehn Jahre alt und sie bestimmt die Regeln in der geschlossenen Einrichtung, die der zuhörende Psychiater, Cotti sein Nachname, zu ihrer Verwunderung akzeptiert. Sie vergleicht ihn mit ihrem Vater, den sie zutiefst hasst, denn er hat sie geschlagen, strafte sie mit Essensentzug und sie glaubt, er sei auch schuldig am frühzeitigen Tod der kranken Mutter. Mit der Pflegetante, die Tantelotte heißt, hatte der Vater wohl ein Verhältnis, denn sie begleitete die Familie in den Urlaub und kümmerte sich auch zu Lebzeiten der Mutter um alles. Katharina verlor die Mutter im Alter von zwölf Jahren und langsam wird klar, dass das Mädchen danach eigentlich nur herumgeschubst wurde. Tantelotte reagierte auf das Weinen des Kindes mit einer heftigen Ohrfeige, damit es auch einen Grund zum Heulen hatte. Eine angebliche freundliche Patentante verfrachtete sie dann in ein Internat, dessen Nonnen Katharina nicht ausstehen konnte. Aus dem „Mädchenknast“ ist Katharina geflohen, aber wurde dann bei der Patentante eher von deren Kindern misshandelt als freundlich aufgenommen.

Der Text, der wie eine Beichte oder auch Abbitte klingt, spielt im Jahr 1970, einer Zeit, in der Leute noch Schreibmaschinen benutzen oder sich über Telefonanschlüsse freuten.
Katharina scheint ein sehr einsames Kind gewesen zu sein, sie liest viel, sie schreibt gern und sie macht sich viele Gedanken über Paul Celans Gedicht „Todesfuge“ oder Werke von Thomas Bernhard.
Als Katharina die Frage-Kärtchen von Cotti zulässt, beginnt ein genaueres Nachfragen.
Die junge Frau nähert sich langsam der Tat, die sie im Nachhinein zutiefst bereut.

Immer wieder beobachtet Katharina ein Mädchen auf dem Spielplatz und sie sieht in ihm etwas, was sie nicht ertragen kann. Verbal entlädt die junge Frau auch all ihren Frust auf ihren Zuhörer:

„Sie sind so fies,
genauso fies wie mein Vater, wie alle.
Wie alle Erwachsenen.
Auf alle habe ich eine Wut. Nur kümmert das keinen. Und
ich kann sie ja auch nicht einfach totschlagen.
All die Väter,
die Pfaffen
die Tanten und Onkel
dieses verlogene Pack.
Nichts anderes im Sinn, als die Kinder zu quälen und zu
belügen.“

Katharina wirkt vom ersten Moment sehr reflektierend, sie denkt über alles nach, untersucht die Bedeutung von Worten und ahnt, dass sie viel zu viel von sich preisgibt. Sie scheint auch von sich eingenommen zu sein, nicht gerade sympathisch. Und doch hängt man an ihren Worten und will wissen, was mit ihr geschehen ist.

Ein einfühlsamer Text, hoffentlich über eine Zeit, die sich mit ihrer schwarzen Pädagogik nicht wiederholen wird.