Anthony Horowitz: Der Tote aus Zimmer 12, Aus dem Englischen von Lutz – W. Wolff, Insel Verlag, Berlin 2022, 597 Seiten, €24,00, 978-3-458-64287-9

„Sie wusste zu viel. Es hatte sie jemand belauscht, als sie telefoniert hatte.
Sie wusste, wer Frank Parris getötet hatte, weil sie den Roman gelesen hatte. Ich hatte ihn auch gelesen, aber obwohl ich dieselben Worte gelesen hatte, war deren geheime Bedeutung an mir vorbeigegangen.“

Die einstige Lektorin Susan Ryeland musste ihr Leben völlig auf den Kopf stellen. Jetzt lebt sie auf Kreta und betreibt mit ihrem Lebenspartner Andreas mehr schlecht als recht ein Hotel mit sieben Zimmern. Die Geldsorgen wachsen ihr über den Kopf, die Beziehung ist nicht mehr prickelnd und ein Buch hat sie schon lang nicht mehr angefasst. Dabei war die Fünfzigjährige in ihrem Beruf und in England sehr glücklich. Was da so genau mit ihrem einstigen, jetzt verstorbenen Starautor Alan Conway und dessen Verlag geschehen ist, bleibt im Dunkeln und doch beschäftigt Susan eines seiner Bücher über den berühmten Detektiv Atticus Pünd bis heute. Denn das englische Ehepaar Treherne, Inhaber des gut gehenden Hotels Branlow Hall, sucht sie eines Tages auf und bietet ihr für Recherchen 10 000 Pfund an. Beider Tochter Cecily ist, nachdem sie das letzte Buch von Alan Conway gelesen hat, verschwunden. Was hat Cecily im Roman entdeckt?

Vor acht Jahren, 2008, genau am Hochzeitstag von Cecily und Aiden, wurde in Zimmer 12 in Branlow Hall ein Mann namens Frank Parris, der gerade aus Australien zurückkehrte, grausam ermordet. Schnell wurde der Mörder identifiziert. Es war ein bereits vorbestrafter Rumäne, in dessen Zimmer blutbefleckte Geldscheine gefunden wurden und der auch ein Geständnis abgelegt hatte. Kurze Zeit später quartierte sich der Schriftsteller Alan Conway im Hotel ein und befragte unter dem Vorwand, Frank sei angeblich sein Freund gewesen, die Trehernes und das Personal im Hotel. Natürlich wolle er keinen Roman über den Fall schreiben, True Crime sei niemals sein Metier. In Wirklichkeit jedoch hat der Autor, der immer auf der Suche nach einem guten Stoff war, Elemente der Tat und handelnde Personen abgeändert in seinem Roman verarbeitet. Jeder, der „Atticus unterwegs“ gelesen hatte, ahnte wer wer aus Branlow Hall sein könnte und um welchen Fall es gehen würde.

Anthony Horowitz lässt seine Hauptfigur Susan aus der Ich-Perspektive erzählen, aber er baut weiterhin unterschiedliche Stilmittel ein. Es gibt E-Mails, aufgezeichnete Interviews, Tonbandaufnahmen und dann sogar noch ein Buch im Buch. Und ganz nebenbei entspinnt sich eine Diskussion in der Handlung, was eigentlich gute Unterhaltungsliteratur ist.

Als Alan Conway sein Buch, er liebte Anagramme, Wortspiele, Akrostichen, Akronyme und seinen besten Freund Wikipedia, geschrieben hatte, wusste er, dass der Rumäne niemals der Mörder sein konnte. Doch warum, das beschäftigt Susan sehr, ist er nicht zur Polizei gegangen? Was hatte er zu befürchten? Dass der damalige Ermittler, Richard Locke, einen unbändigen Hass auf Osteuropäer, insbesondere Rumänen hat, weiß Susan nach dem Gespräch in der Polizeistation.

Susan befragt nun wie ihr Autor alle beteiligten Personen, wobei deren Interesse an diesem alten Fall mittlerweile erlahmt ist. Niemand will so richtig reden, jeder hat, und hier ist Susan einfach die gründliche Rechercheurin, Geheimnisse, die noch niemand herausgefunden hat.
Immer mehr Details kommen zum Vorschein, immer neue Informationen rund um Frank Parris‘ Leben und wahre Absichten in England erweitern nach und nach den Kreis der möglichen Täter.

Dieser spannende Whodunit – Krimi umfasst nicht nur die verspätete Tätersuche, sondern auch die Frage, was hat Cecily gefunden und wohin ist die junge Frau und Mutter verschwunden. Ist sie überhaupt noch am Leben?

Anthony Horowitz ist ein galanter Autor, der mit einem umfangreichen Personal aufwartet und alle möglichen Themen, von Eifersucht, Erbschaftsstreit, über Verrat, Abhängigkeiten und Geldproblemen in einer flüssig geschriebenen Handlung unterbringen kann und seine Lesenden bis zum Ende fesselt und bestens unterhält.