Gills Sims: Mami will auch mal – Tagebuch einer entfesselten Mutter, Aus dem Englischen von Ursula C. Sturm, Eisele Verlag, München 2020, 382 Seiten, €16,00, 978-3-96161-117-1

„Ich sehnte mich nicht danach, mal wieder jemandem den Allerwertesten abzuwischen, noch trauerte ich den ach-so-glücklichen-Tagen nach, als sämtliche Oberflächen in unserem Zuhause mit Glitzer und Kleber verkrustet waren, als hätte ein hyperaktives, inkontinentes Einhorn dort gewütet. Aber es ist schon etwas gewöhnungsbedürftig, dass Peter und Jane meine Existenz kaum noch zur Kenntnis nehmen, nachdem ich für sie so lange der Nabel der Welt war, die zentrale Anlaufstelle für das Verarzten von Blessuren und das Trocknen von Tränen, für Geborgenheit, Bespaßung und Wissensvermittlung.“

Ellen Green heißt die Tagebuchschreiberin, die gern fernsieht, insbesondere Serien auf Netflix und anderswo, am liebsten Kuchen isst, Jilly Cooper – Romane liest, Wein trinkt, ihren Hunden irgendwelchen Blödsinn erzählt und viel zu viel in den sozialen Medien unterwegs ist. Sie trifft sich gern mit ihren Freundinnen zum Scheiß-drauf-Freitag, möchte wie jede andere Frau auch, ein paar Kilo weniger wiegen und hofft immer noch auf den Traummann, auch ohne Hilfe aus dem Internet.
Über ein Jahr berichtet Ellen von all ihren stinknormalen Alltagsquerelen mit Kindern, Hunden, Familie, Freunden und Nachbarn. Immer wieder neigt sie dazu abzuschweifen und sich ihre eigenen Geschichten zu Personen und Ereignissen auszumalen, die dann allerdings irgendwie ganz anders ihren Lauf nehmen.
Ihre beiden Kinder Jane und Peter werden immer größer und selbstständiger, wobei Peter nie den Käse im Kühlschrank findet, obwohl er vor seiner Nase liegt. Jane wird bald achtzehn, will die Fahrprüfung ablegen und in Edinburgh studieren. Für Mutter Ellen wird es immer schwieriger, endlich mal loszulassen, die Kinder nicht ständig mit ihrem Obst-und Gemüse-Terror zu traktieren und einfach nur an sich zu denken. Immer mehr macht sich in Ellens Aufzeichnungen die Sorge um die Zeit nach dem Auszug von Ellen und sicher auch bald Peter breit. Und als sie nach einem Trinkgelage in der Toilette in den Spiegel schaut, wird ihr mit ihren achtundvierzig Jahren schmerzlich bewusst, dass sie ziemlich gealtert ist, mit Krähenfüßen und Augenringen. Mag ein bisschen Sarkasmus über diese klaren Minuten hinweghelfen, die Tatsachen kann man nicht einfach so mal wegwischen. Immerhin registriert Ellen mit Unbehagen, kaum Eifersucht, dass Simon, ihr Ex-Ehemann zwar älter wird, aber er hat natürlich eine Frau an seiner Seite, die zehn Jahre jünger als Ellen ist. Marissa ist der Inbegriff der Fitness, des bewussten Lebens, dass für sie, so ihre Lieblingsformulierung, einfach ethisch vertretbar sein muss. Die überirdisch perfekte Marissa, die natürlich keine Avocados isst und sicher keine Kinder der Umwelt zuliebe haben möchte, beginnt Simon langsam zu nerven. Bei ihm tritt seltsamerweise ein Umdenkungsprozess ein. Er erkennt, wie viel Ellen in die Kinder, nicht nur finanziell, aber auch emotional investiert hat. Und so schenkt er seiner Tochter Jane mit Ellen, die sich diesmal finanziell nicht beteiligen muss, einen alten Opel Corsa, allerdings mit überwachender Blackbox.
Um nicht immer wieder in die Rolle der Dienerin zu rutschen, die ihren Kindern alles
hinterher räumt, um in einem einigermaßen sauberen Haus zu leben, greift Ellen zu ziemlich drastischen Mitteln.

„Vor einer Weile kam ich auf folgende geniale Idee: Ich drohte damit, keinen BH zu tragen, wann immer ihre Freunde zu Besuch waren, sollten sie nicht häufiger ihre Zimmer aufräumen und mehr im Haushalt mithelfen. Hach, das war eine herrliche Woche. Bis ihnen klar war, dass ich meine Drohung niemals wahr machen würde,…“

Mag Jane Ellen immer wieder mit ihrer zickigen Art auf die Palme bringen, so kann sie sich doch auch bei ihrer Mutter bedanken, insbesondere an ihrem achtzehnten Geburtstag und zur Schulfeier nach einem richtig guten Abschluss. Aber Ellen macht auch die Erfahrung, wie sehr man seine Kinder unterschätzen kann und wie sinnlos der ständige Kontrollzwang ist.
Neben ihrem Stress zu Hause, insbesondere am Morgen, kümmert sich Ellen sehr um ihre Freundin Hannah, die mit ihrem zweijährigen Sohn Edward mehr als überfordert ist. Die Energie dieses Kindes beendet für jede Leserin dieses Buches garantiert den Wunsch nach einem Kind. Zum Brüllen sind die Beschreibungen als Ellen sich aufopfernd als Babysitter um Edward kümmert und ihn nur noch bändigen kann, wenn er ganz freiwillig in die Rolle eines Hundes schlüpft und mit ihren Hunden zusammen, die Mahlzeiten einnimmt. Nach diesem Stress muss sich Ellen etwas Schönes gönnen und das könnte der attraktive Nachbar Mark sein. Doch alle Begehrlichkeiten lösen sich in Luft auf, als Mark seine Abneigung gegen Hunde generell ins Spiel bringt.
Und noch eine Baustelle: Ellens Firma wird einer Verschlankung unterzogen und nun schwant ihr, dass sie eventuell ihre Arbeit verlieren könnte. Sehr deutlich formuliert sie in ihrem Tagebuch, die Ungerechtigkeiten bei der Einstellung von Frauen, denn immerhin spricht niemand von „berufstätigen Vätern“, wenn es um bestimmte wichtige Posten geht.
Schon allein für diese Passagen lohnt es sich, dieses wie immer witzig geschriebene Buch mit all seinen ungeschminkten Alltagsbeobachtungen über die Stärken und Schwächen von Mitmenschen zu lesen.