Kristina Hauff: In blaukalter Tiefe, hanserblau im Carl Hanser Verlag, München 2023, 288 Seiten, €23,00, 978-3-446-27581-2

„Sie war selbstbewusst geworden. Mutig. Sie kletterte bei hohem Wellengang auf dem Bug herum, um die Situation zu retten. Dabei musste dieser Unfall passiert sein.“

Segeln als Moment der Freiheit und Unbeschwertheit, der Einzigartigkeit und Weite, der Nähe zur Natur, zum Meer, zu Landschaften wie den Schwedischen Schären. Doch ein Segeltörn bedeutet auch körperliche Fitness, Zusammenleben auf engstem Raum, trotz Kajüten nie allein sein können und vor allem in der Gruppe zusammenhalten und sich aufeinander verlassen können. Der Skipper ist der, der das Sagen hat, weil er Schiff, Wetterlage und Route gut kennt.

Zehn Tage soll der Segeltörn dauern, den der anerkannte Wirtschaftsstrafverteidiger Dr. Andreas Kepler und seine Frau Caroline, Chefredakteurin eines Modemagazins in Frankfurt a.M. bezahlen. Eingeladen sind Daniel Schmidt und seine Freundin Tanja. Daniel erhofft sich die Partnerschaft in der Kanzlei von Andreas. Tanja, von Beruf Altenpflegerin, will ihren Freund unterstützen. „Querelle“, übersetzt „Streit“, heißt die Yacht, die der Skipper Eric Fauré und seine Freundin Sylvie für den Segeltörn zur Verfügung stellen. Mit dem Betreten der Yacht jedoch prallen die unterschiedlichsten Konflikte und Erwartungen aller Beteiligten aufeinander. Eric muss den Anwesenden gleich mitteilen, dass Sylvie erkrankt ist. Andreas, der über etwas Segelerfahrung verfügt, kann sich nicht zurücknehmen und gerät immer wieder mit dem ruhigen Eric, der keinen Alkohol trinkt und sehr auf Distanz geht, aneinander. Seit die Tochter von Andreas und Caroline aus dem Haus ist, leben die Eheleute nebeneinander her. Andreas weiß nicht, dass Caroline gekündigt wurde. Er hatte vor zwei Jahren einen Schlaganfall und bangt um seine Einflussnahme in der Kanzlei. Daniel steht zwischen allen Stühlen, er muss sich um die verunsicherte Tanja kümmern, die sich mit Caroline und Andreas nicht wohlfühlt und er muss seinem Chef zeigen, wie entschlusskräftig und zupackend er sein kann. Nur Tanja sieht, dass Eric körperlich nicht fit ist.

Als sie dann auch noch ein berufliches Problem in den Urlaub verfolgt, muss Daniel alles regeln, weil Andreas sein Handy ins Wasser fallen lässt. Der launische Andreas vergiftet die Stimmung an Bord und spielt mit allen Spielchen und schafft es so, absoluten Unfrieden auf der Yacht zu schüren. Er flirtet mit Tanja, bringt sie in unmögliche Situationen und Daniel steht daneben, unsicher, ob er handeln soll. Doch was lässt man sich auch in einer Urlaubssituation von seinem Chef, den man nach den zehn Tagen wieder siezen wird, gefallen? Wo sind die Grenzen und warum reagiert Caroline eher mit Gleichgültigkeit? Tanja provoziert Daniel und fordert von ihm eine Reaktion, die nicht kommen wird. Er will nach jahrelanger Arbeit unbedingt diese Partnerschaft in der Kanzlei. Und Tanja beschließt, den Segeltörn bei nächster Gelegenheit zu beenden. Caroline, die sich nur Sicherheit wünscht, projiziert all ihre Erwartungen in den ruhigen, aber bestimmten wie attraktiven und geheimnisvollen Eric, der sich auch von ihr angezogen fühlt. Daniel wird die Intimitäten der beiden sehen und doch schweigen.

All diese Geschehnisse führen zu einer Änderung des Kurses und letztendlich zu einer Katastrophe, in der, so glauben die vier Frankfurter, Eric ums Leben kommt.

Wie in einem Kammerspiel, in dem Personen mal zu viel reden und dann an den entscheidenden Stellen schweigen, vollzieht sich dieser Segeltörn in sagenhaft schöner Landschaft. Warum kann Andreas seinen Urlaub, den er benötigt, nicht mit seiner Frau allein verbringen? Wie sieht es in der Arbeitswelt aus, dass Machtverhältnisse sogar bis in den Freizeitbereich ausgedehnt werden?

Warum schauen bestimmte gesellschaftliche Schichten auf die wirklich hart arbeitenden und schlecht bezahlten Menschen einfach so herab?

Porträt einer Gesellschaft, in der es wahrscheinlich noch nie Gerechtigkeit gab, und in der die scheinbar wichtigen Leute, die das große Geld verdienen, denen unterlegen sind, die moralisch gesehen auf der richtigen Seite stehen. Doch auch die mit den Geheimnissen sind nicht besser, als die anderen.