Jochen Rausch: Im toten Winkel, Piper Verlag, München 2023, 304 Seiten, €24,00, 978-3-492-07164-2

„Einer dieser fünftausendzweihundertfünfundachtzig Follower ist der Mörder von Jens Fritsche.“

Der Autor Jochen Rausch hat seiner Ermittlerin alles aufgebürdet, was eigentlich für einen Menschen untragbar ist. Aber sie ist eine ungewöhnlich mutige Frau und eine beharrliche Ermittlerin, die auch zu ihren Fehlern steht. Marta Milutinovic, ihre Familie stammt aus Slowenien, musste als Mutter und Kommissarin erleben, dass sie nach zwanzig Jahren Polizeidienst ihre Tochter Charlotte nicht beschützen konnte. Ihr gewaltsamer Tod begleitet sie nun in ihren Arbeitsalltag, denn den Polizeijob wollte Marta nicht aufgeben. Zu gern hätte sie den Mörder ihrer Tochter getötet. Dass sie mit ihren angestauten Emotionen phasenweise nicht umgehen kann, wird sich im Laufe des ersten Bandes zeigen. Von ihrem Mann Tom getrennt, lässt sich Marta von München in den kleinen Ort Schwarzbach an der tschechischen Grenze als Dienststellenleiterin versetzen. Ihr wuchtiger und lauter engster Mitarbeiter, der selbst Ambitionen hatte, Martas Posten zu übernehmen, ist Jürgen Hartmann. Er schaut schon mal weg, wenn bestimmte Leute in Schwarzbach sich im Verkehr unkorrekt verhalten. Bevor Marta in der Provinz abgetaucht ist, hat sie einen Tatverdächtigen angeschossen. War es ein Versehen oder Absicht? Die Hintermänner jedenfalls, Italiener, werden sich grausig an Marta rächen. Auch das wird sie überstehen, denn sie ist auf eine bestimmte Weise, vielleicht auch durch den Tod ihres Kindes, unantastbar.

Im Zentrum dieses 1. Bandes der Grenzland-Reihe steht allerdings ein Fall aus dem Jahr 1999. Marta fiel auf, dass jemand als Jens Frische Nachrichten postet. Jens Fritsches völlig entstellter Leichnam wurde im Wald gefunden, nachdem der Neunzehnjährige nach einer Party verschwunden war. Sehr schnell findet die Ermittlerin heraus, dass Jens‘ Bruder Kai die Texte schreibt und möchte, dass sich jemand wieder um den Tod des Bruders, der nie aufgeklärt wurde, kümmert.

Marta beginnt in der Vergangenheit der Fritsche Brüder zu wühlen und sie kommt zu Erkenntnissen, die dem Fall eine neue Wendung geben. Klar wird, dass dieser kleine friedliche Ort Schwarzbach doch nicht so harmlos ist, wie er erscheint. Einst hatte sich der Vater von Jens und Kai in der DDR als Widerstandskämpfer generiert, der dann aber in den Westen freigekauft wurde. Kai führt nach dem Tod des Vaters den Gasthof mit wenig Übernachtungen. Marta ahnt, dass hinter den Kulissen andere Geschäfte laufen.

Zu Martas Apartment gehört auch eine Berghütte. Ihre Nachbarn, das lebensfrohe Tischlerehepaar Hannes und Petra, lernen Marta kennen und gehen alle drei eine sexuelle Beziehung ein. Diese Nähe jedoch führt auch dazu, dass sie Marta von Jens erzählen und plötzlich steht der von allen gemiedene Schüler in einem anderen Licht da. Ein Motiv, ihn zu töten, steht im Raum und Marta ruht nicht, bis sie den Cold Case aufgedeckt hat und den wahren Täter ausmacht.

Jochen Rausch kann spannend und atmosphärisch schreiben. Seine Hauptfigur ist eine gebrochene, aber trotzdem starke Frau, die einen Pick-up und Mountainbike fährt, zielorientiert arbeitet und keinem Hindernis, auch nicht mit den neuen Kollegen, aus dem Weg geht. Ihre eigene Psyche jedoch ist extrem labil. In ihren Gedanken spricht sie mit der Tochter und zeigt ihr ihr neues Leben in Videoaufnahmen, eine Praxis, zu der ihr ihr Therapeut geraten hatte. Ob sie in Schwarzbach heimisch wird, werden die folgenden Bände zeigen.