Sarah Moss: Geisterwand, Aus dem Englischen von Nicole Seifert, Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, München 2021, 158 Seiten, €20,00, 978-3-8270-1413-9


„Sie wollen mich bei Sonnenuntergang töten. Mich mit Bassgesang zum Schlag der Trommeln hoch ins Moor bringen, mir Hände und Füße fesseln, mir ein Seil um den Hals legen, das gestrafft und gelockert werden konnte, solange Messer und Steine mich zwischen Leben und Tod schweben ließen. Natürlich werden wir dir nicht wirklich wehtun, sagte der Prof, ….“

Siluvia Hampton, alle nennen sie Silvie, ist die Erzählerin dieser Geschichte. Silvies Alter wird nie genau genannt, nur, dass sie mittelmäßige Ergebnisse in der Oberstufe erreicht, d.h. sie ist sechzehn oder siebzehn Jahre alt.
Diesen heißen Sommer verbringt das Mädchen mit ihren Eltern in den Moorwäldern von Northumberland. Silvies Vater, der sich für Empirische Archäologie interessiert, hat sich einem Projekt von Professor Slade angeschlossen. Er und seine Studenten Pete, Dan und Molly versetzen sich in die Ära der Eisenzeit und verbringen die Tage so wie die Menschen vor 2000 Jahren. Sie tragen Tuniken, essen, was der Wald hergibt und wollen sich mit den damaligen Techniken vertraut machen. Professor Slade sieht diese Aufgabe eher locker, eine Ahnung soll bei den Studenten von dieser Zeit entstehen. Und so schleichen sich Molly und Dan ab und zu auch zum kleinen Supermarkt und kaufen Chips oder Cola.

Im Gegensatz zu Professor Slade sieht Silvies Vater Bill die ganze Aktion etwas strenger. Er will das Authentische der Eisenzeit erleben. Zum Glück dürfen die Frauen der Familie ihre eigene Unterwäsche tragen. Sie schlafen im Rundhaus, die Studenten in ganz normalen Zelten.
Silvie ekelt sich vor der Tunika, dem Stroh, in dem sie kleine Tiere vermutet. Doch jegliche negative Meinungsäußerung würde Silvie in Schwierigkeiten bringen, denn ihr Vater schlägt sofort zu, wenn ihm etwas nicht passt. Als Busfahrer interessiert er sich in seiner Freizeit für die Geschichte Nordenglands, entwickelt seine eigenen sehr national angehauchten Theorien und schleppte Silvie bereits als Kind in Museen. Wie ihre Mutter Alison hat Silvie ihre eigenen Wünsche völlig aus dem Auge verloren. Alle Demütigungen des Vaters erträgt sie stoisch und denkt nur an Flucht, wenn sie volljährig ist. Die ängstliche, sich ständig zurücknehmende Mutter schiebt alle Schuld auf ihr Kind, wenn der Vater ausrastet. Sie habe ihn provoziert und die Schläge verdient. Im Zusammenleben mit den Studenten saugt Silvie alle Informationen von der Außenwelt ein, hört vom Mauerfall in Berlin, spürt die innere Freiheit der anderen, ihre Fröhlichkeit, ihre Zukunftsfreude. In der Natur, und das bemerkt besonders Molly, kennt Silvie sich aus. Sie weiß, wo die Bickbeeren stehen, sie hat keine Angst vor toten Tieren und sie spürt eine innere Verbundenheit mit der Flora und Fauna im Wald. In seiner Verbissenheit und herrischen Art versteht der Vater kaum, was in seiner Tochter vor sich geht. Als er sie, natürlich ohne dass die anderen es sehen, mit einem Gürtel züchtigt, versetzt sich Silvie selbst in Trance, um nichts zu spüren.
Molly jedoch hört, wie herrisch Bill mit seiner Frau Alison, die nur am Feuer steht und kocht, redet. Sie sieht die Verletzungen an Silvies Beinen.
Als der Professor auf die Idee kommt, eine sogenannte Geisterwand gegen die damaligen Invasoren, die Römer, aufzubauen, eskaliert das Projekt. Beginnt alles noch ganz harmlos mit einem Zaun und toten Schädeln von Hasen und Kühen, so versteigern sich Bill, auch um anzugeben, und der Professor in die Idee hinein, ein uraltes Ritual mit Trommeln und Gesang zu improvisieren.
Doch dann benötigen die Männer ein Menschenopfer, ein Kind.

Sarah Moss versteht es in einer beeindruckenden Sprache, ihre so ambivalenten Figuren in Stellung zu bringen, um zu zeigen, wozu der Mensch fähig ist. Der brutale Vater, der seine Minderwertigkeitskomplexe durch die Aggressionen gegen seine Familie auslebt, auf der einen Seite und auf der anderen die Natur zu Zeiten der Eisenzeit, in der der Mensch schonungslos nur auf das zurückgreifen muss, was existiert. Im Hintergrund werden aber auch Fragen gestellt, denn was wusste man wirklich über die Eisenzeit, welche Kenntnisse über das Leben der Menschen sind verbirgt und was ist grausige Fantasie.