Friedrich Ani: Bullauge, Suhrkamp Verlag, Berlin 2022, 267 Seiten, €23,00, 978-3-518-43032-3

„Mein Leben war nicht ruiniert, ich lebte, oder nicht? Ich hatte eine Auge verloren; nicht mal eine Arm; nicht mal ein Bein; schon gar keinen Lungenflügel. …
Was hatte die Frau mit mir zu schaffen, fragte ich mich und verspürte das sachte Bedürfnis nach einem Bierchen. Unsere Wege hatten sich gekreuzt, das war alles.“

Der einsame Polizeihauptkommissar Kay Oelander hat nach dreißig Jahren im Dienst wirklich Pech. Während einer Demonstration auch mit Leuten aus der Neonaziszene wirft jemand eine Flasche, deren Splitter ihn so treffen, dass er sein linkes Auge verliert. Nun ist der Vierundfünfzigjährige im Krankenstand und hat Zeit, um bei Ali an der Bar zu sitzen, über sich nachzugrübeln, und auch nach dem Flaschenwerfer zu fanden. Von den Kollegen bereits überprüft wurden zwei Leute in der Nähe der Demo. Holger Kranich und Silvia Glaser wurden überprüft, weil sie eine Bierflasche in der Hand hielt. Wie durch Zufall treffen sich Oleander und Glaser vor dem Eingang zu ihrer Wohnung und von dem Zeitpunkt an, entspinnt sich eine Beziehung zwischen ihnen, die rätselhaft bleibt. Hat sie die Flasche geworfen, obwohl sie dies vehement bestreitet? Warum benötigt sie so dringlich die Hilfe eines Polizisten?
Friedrich Anis Vorliebe für Menschen am Rand der Gesellschaft zeichnet auch in diesem Roman seine Figuren aus. Silvia Glaser muss mit einem Stock gehen, denn durch einen Fahrradunfall, für den sie ein rasendes Polizeiauto verantwortlich macht, natürlich wurde niemand zur Rechenschaft gezogen, ist ihr Bein in Mitleidenschaft gezogen. Bedingt durch die Insolvenz ihrer Apotheke und ihr Schicksal mit Anfang sechzig als schlecht bezahlte Essensausfahrerin, hat sich die Frau in den Sog von Verschwörungstheorien ziehen lassen. Sie lernt den Lehrer Holger Kranich kennen und dieser hofft, Silvia für die rechtsradikale Neue Volkspartei Deutschlands gewinnen zu können.
Ein ominöser Auftrag scheint sich anzubahnen, den Silvia eventuell übernehmen soll.
Präzise, komplex und auch mit einem sarkastischen Unterton, wenn es um die Verfolgung des NSU in Bayern geht, beschreibt Ani das Polizeimilieu, wo schon jemand als „verkappter Linker“ bezeichnet wird, wenn er ein Buch in die Hand nimmt. Und doch gilt gerade unter Kollegen, man muss sich vertrauen. Natürlich will Oleander der neuen Frau in seinem Leben, auch wenn der Status nicht ganz klar ist, zur Seite stehen. Sie will sich den Rechtsradikalen entziehen, spürt aber, dass sie schon zu tief in den Strukturen verfangen ist.

Ausgehen wird diese Geschichte, die sich wirklich langsam, dafür aber sprachlich überzeugend entwickelt, tragisch. Aber sie wird für Lesende, die sich darauf einlassen, noch lang nachwirken, denn Friedrich Ani ist ein überaus kluger Autor, nichts ist in seinen Romanen so wie es scheint und alles hat zwei Seiten und die Verantwortung tragen nicht die Institutionen, sondern wir alle zusammen.