Ann Patchett: Die Taufe, Aus dem Amerikanischen von Ulrike Thiesmeyer, Berlin Verlag, München 2017, 391 Seiten, €22,00, 978-3-8270-1344-6

„Wie schwerwiegend und falsch es gewesen war, weiterzugeben, was nicht ihr gehörte. Klar gewesen war ihr das im Grunde von Anfang an, aber sie hatte nichts darauf gegeben.“

Zu Beginn ist der Einstieg in diese Romanhandlung, die zeitlich immer wieder versetzt erzählt wird, nicht ganz einfach, denn es dauert eine Weile, ehe man die zahlreichen Figuren einander zuordnen kann. Zum einen ist da die Familie Keating, das sind Fix und die attraktive Beverley mit ihren Mädchen Caroline und Franny, zum anderen die Familie Cousins, das sind Bert und Teresa und ihre vier Kinder: Cal, Holly, Jeanette und Albie. Auf der Taufe von Franny in Kalifornien werden sich Bert und Beverly begegnen und ineinander verlieben. Sie lassen sich scheiden und beginnen ein neues Leben in Virginia.

Nach einem hart umkämpften Prozess, den Bert als Jurist mit guten Kontakten gewinnt, verbringen seine Kinder, die bei der Mutter geblieben sind, den gesamten Sommer in Virginia. Das Problem ist nur, dass Bert, auch bereits in der Zeit mit Teresa, sich nie um seine Kinder gekümmert hat. Sie waren ihm zu laut, zu chaotisch, einfach zu anstrengend. Wenn die vier Kinder mit dem Flugzeug anreisen, ab 1971 dürfen sie ohne Begleitung fliegen, deckt er sich dermaßen mit Arbeit ein, dass alles an der widerwilligen Beverley hängen bleibt. Wenn ihre eigenen Töchter dann verheult und aggressiv gestimmt von ihrem Vater Fix, der sich extra immer Urlaub für seine Mädchen nimmt, zurückkehren, ist das Haus voll. Alle sechs Kinder jedoch sind sich selbst überlassen. Niemand mag Beverley, die sich immer wieder zurückzieht, weder ihre eigenen Töchter noch die vier Stiefkinder. Nur Franny versucht ausgleichend zu wirken. Das große Sorgenkind ist der Kleinste, Albie. Er ist hyperaktiv, singt pausenlos, buhlt um Aufmerksamkeit und ist enorm nervig. Werden die Kinder in Berts Gegenwart frech, dann verteilt er Ohrfeigen.

„Statt das Abendessen in Schalen und Schüsseln auf den Tisch zu stellen, wie es das ganze Jahr üblich war, bestand die Mutter darauf, dass sich die Kinder nach Alter geordnet in der Küche aufstellten und mit ihrem Teller an den Herd kamen, um sich ihr Essen abzuholen. Es war, als würden sie im Sommer aus der zivilisierten Welt in die Waisenhausszenen aus Oliver Twist versetzt.“

In diesen unbehüteten Sommern passieren viele gute Sachen, in denen die Kinder zusammenhalten. Aber es geschieht auch ein Unglück, dass die Kinder bis ins Erwachsenenleben verfolgen wird und worüber nie ehrlich gesprochen wird. Cal kommt ums Leben, was zum einen mit seiner Bienenallergie zu tun hat, aber auch mit Albie. Als Franny Jahre später nach ihrem abgebrochenen Jurastudium in einer Bar jobbt, lernt sie einen Schriftsteller kennen. Auch wenn dieser ihr Großvater sein könnte, beginnt sie mit ihm eine langjährige Beziehung. Sie erzählt ihm die turbulenten Familiengeschichten der Keatings und Cousins und er schreibt das Buch im Buch, den erfolgreichen Bestseller „Die Taufe“. Niemals soll diese Geschichte verfilmt werden, was später dann doch geschehen wird.

Als Albie, der sich lange Zeit herumgetrieben hat, bei seiner Schwester Jeanette in Brooklyn untertaucht, entdeckt er das zerfledderte Taschenbuch und ein Geheimnis, dass seine Geschwister gehütet haben. Er reist zu Franny nach New York und stellt sie zur Rede.

Zeitlich springt Ann Patchett innerhalb der Handlung hin und her. Aus Kindern werden Erwachsene und auch hier erzählt die Autorin ausführlich von den unterschiedlichen Schicksalen der einzelnen Figuren. Bert wird Beverly verlassen, aber Cals Tod ist nicht unbedingt die Ursache. Beverly wird wieder heiraten und noch einen Schwung Stiefsöhne bekommen. Teresa, die ihr Leben lang beruflich tätig war, genießt ihren Ruhestand und wird am Ende am innigsten von Albie, der als Jugendlicher sogar eine Schule abgefackelt hatte, umsorgt.

Lebensnah, komisch wie ernst berichtet Ann Patchett von diesen zwei Familien. Immer wieder taucht Taufkind Franny auf, das in gewisser Weise durch ihre Indiskretion die Fäden zieht. Hätte sie nicht geplaudert, wären die Stiefgeschwister vielleicht gar nicht mehr zusammengekommen. Rührend ist die Nähe der Töchter zu ihrem krebskranken Vater Fix, distanziert, aber nicht kontaktlos ist die Beziehung der anderen vier zu Beverly und Bert.
Was wäre wenn, …. wenn die Vergangenheit anders verlaufen wäre, wenn Beverly nicht so schön gewesen wäre, wenn Bert keinen Gin zur Taufe mitgenommen hätte, wenn er seine Kinder mehr geliebt hätte…..

Wer Familiengeschichten ohne Pathos und mit nachvollziehbaren, realistischen Konflikten mag, sollte dieses Buch unbedingt lesen.