Dror Mishani: Die schwere Hand, Avi Avraham ermittelt, Aus dem Hebräischen von Markus Lemke, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2020, 287 Seiten, €10,95, 978-3-423-21821-4

„Avraham war fassungslos. Dann fiel ihm ein, dass Saban ihn gestern gefragt hatte, ob er morgen Urlaub habe, ohne den Versuch zu unternehmen, ihn zu überreden, auf den freien Tag zu verzichten.“

Kaum ist Oberinspektor Avi Avraham mit seinen bald vierzig Jahren zum Leiter der Ermittlungsabteilung in Cholon südlich von Tel Aviv aufgestiegen, sägen die lieben Kollegen schon an seinem Stuhl. Benny Saban und Schärfstein führen ihre eigene Polizeiarbeit an Avrahams Ermittlungen vorbei und dabei ist das doch sein allererster Fall. Hinzu kommt noch, dass auch noch Marianka aus Brüssel zu ihm gezogen ist. Beide wollen ausprobieren, wie das Zusammenleben so funktioniert und dann entscheiden, ob sie eine gemeinsame Zukunft haben. Zu allem Unglück hat sich Avraham auch noch vorgenommen, nicht mehr zu rauchen und das Wetter spielt auch noch verrückt, es regnet ununterbrochen und sorgt für Überschwemmungen.

Als dann Avis erstes Mordopfer vor ihm liegt, kennt er diese Frau sogar. Es ist Lea Jäger, eine sechzigjährige Frau, die vor zwei Jahren einen Mann wegen einer Vergewaltigung angezeigt hat, der nun für vier Jahre im Gefängnis sitzt. Jemand hat sie geschlagen und erdrosselt. Beim Verlassen der Wohnung jedoch hat er alle ihre persönlichen Sachen mitgenommen und die Wohnungstür abgeschlossen. Ein Nachbar sagt aus, dass er Geräusche gehört habe und einen Polizisten durchs Haus gehen sehen. Niemand aus der Familie kommt als Täter in Frage, allerdings zweifelt Avi an den Worten des Sohnes, der angeblich keinen Kontakt zur Mutter hatte. Saban findet heraus, dass der Sohn adoptiert wurde und schon nimmt er ihn hinter Avis Rücken fest. Erste Konflikte bahnen sich an, wobei die Polizisten Esthi Wahabe und Eliyahn Maalul ihrem leicht verunsicherten Chef gemeinsam den Rücken stärken.

Parallel zu Avis akribischer Polizeiarbeit, schaut der Leser in den Alltag von Coby und Mali Bengtson. Beide haben zwei Kinder, Mali ist erneut schwanger und arbeitet bei der Bank und Coby ist mal wieder auf Arbeitssuche. Allerdings verschließt er sich immer mehr, spricht kaum noch und scheint irgendwie abwesend zu sein. Die gutmütige wie verständnisvolle Mali hält alles am Laufen und muss sogar ihren Hochzeitstag allein verbringen. In Rückblenden erfährt man, dass Coby, eigentlich Jacob, aus Australien stammt. All seine Träume von einem beruflich erfolgreichen Leben in Israel sind so nach und nach in die Brüche gegangen. Es fällt ihm schwer, Auseinandersetzungen oder Konflikte auszutragen. Wenn er sich gegängelt fühlt, kündigt er sofort den Job. Als Coby Mali wieder eine Nacht allein lässt, stellt sie ihn zur Rede. Er weiß, dass sie nicht allein schlafen kann, denn seit einem brutalen Überfall in einem Hotelzimmer in Eilat ist Mali traumatisiert. Ein Mann mit Sturmhaube hat seine schwere Hand an ihren Hals gelegt, sie mit dem Messer am Hals geschnitten, gefesselt und missbraucht. Nie wurde der Täter gefunden. Coby beichtet, dass die Polizei ihn wegen Fahrerflucht sucht.

Genial umkreist Dror Mishani seine psychologisch genau ausgeloteten Protagonisten, die immer wieder aus unterschiedlichen Perspektiven vom Leser betrachtet werden können und Einblick geben in ihren Alltag. Mal geht die Handlung fünf Schritte voran und dann drei Schritte zurück, mal weiß der Leser mehr als die Polizei, mal erzählt Avi seine Gedanken, dann berichtet Mali, was geschehen ist. Neben Avi stellt noch jemand peinlichste Fragen an Vergewaltigungsopfer und hofft selbst inständig, endlich enttarnt zu werden.

Der israelische Autor Dror Mishani steht an der Seite seiner Figuren, auch wenn sie tragische Entscheidungen getroffen haben. Absolut spannende Lektüre!