Emma Stonex: Die Leuchtturmwärter, Aus dem Englischen von Eva Kemper, S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2021, 431 Seiten, €22,00, 978-3-10-397037-1

„Auf einem Leuchtturm ist die Welt klein. Langsam. Das können andere Menschen nicht: Sie können Dinge nicht langsam und bedeutungsvoll machen. Mein Verstand arbeitet hier anders. An Land schläft er beinahe, er ist nicht so scharf wie jetzt.“

Acht Wochen arbeiten drei Männer jeweils auf den frei stehenden Leuchttürmen vor Cornwall. Vier Wochen bleiben sie danach zu Hause, um wieder erneut auf die See hinauszufahren. Rau und direkt ist der Ton unter den Männern, eng die Behausung, gewöhnungsbedürftig die wichtige Arbeit, die zwanzig Jahre später elektronisch funktioniert.
Der Mann, der auch gern teilen kann, ist Arthur Black, der Oberwärter. An seiner Seite arbeitet der stille William Walker und der oft gut gelaunte Hilfswärter Vince Bourne. Alle drei Männer verschwinden auf mysteriöse Weise zwischen Weihnachten und Silvester 1972.
Was ist vor zwanzig Jahren geschehen? Der Buchautor Dan Sharp befragt in langen Interviews Helen, Arthurs Frau und Jenny, Bills Ehefrau. Michelle, die damalige Freundin von Vince, will sich vorerst nicht äußern. Die Gespräche mit den Frauen sind eher Monologe, die mal von einer indirekten Frage des Autors kurz unterbrochen werden.
Zeitversetzt schildern die Frauen nun ihre Sicht 1992, dann gewinnt der Leser und die Leserin Einblick in das wahre Geschehen auf dem Turm 1972, unterbrochen von Briefen der Protagonisten, des Autors oder der Firma, bei der die Leuchtturmwärter angestellt waren.
Diese hatte schnell einen Schuldigen ausgemacht, denn Vince wurde eingestellt, obwohl die Firma wusste, dass er bereits mehrere Gefängnisstrafen verbüßen musste. Nur er konnte derjenige gewesen sein, der die Männer, aus welchen Gründen auch immer, getötet hat und dann aus Reue sich selbst. Doch wo sind die Leichen, wenn die Türen zum Turm geschlossen waren? Warum sind die Uhren alle zum gleichen Zeitpunkt stehengeblieben?
In Rückblenden und Erinnerungen erzählt die englische Autorin nun vom Leben der Männer. Wie sind sie aufgewachsen, wann haben sie ihre Frauen kennengelernt, was ist in ihrem Leben wirklich wichtig gewesen, was ist geschehen. Wie sind sie mit der Enge, der Tristesse gerade im Winter und auch der Ödnis auf dem Leuchtturm klargekommen? Ohne Garten, nur auf einem Sockel stehend verwehrt der Turm jedem die normale Bewegung. Arthur hat viel gelesen, sich mit Geografie beschäftigt und auch die Hundswache zwischen Mitternacht und vier Uhr gemocht. Doch neigte er auch zu depressivem Verhalten und einer Sehnsucht nach der Stille. Auf dem Turm konnten nur Männer arbeiten, die es mit sich allein aushielten, die mit der Einsamkeit und Enge keine Probleme hatten.
Vieles haben diese Männer in langen Wachen ausgetauscht, was die Frauen vielleicht gar nicht wussten.
Nach dem Verschwinden der Männer kommt es unter den Frauen der Vermissten eher zu Streitereien. Die extrem unsichere Jenny, die Bill drei Kinder geboren hat, ohrfeigt Helen auf der Trauerfeier. Sie unterstellt Helen eine Affäre mit ihrem Mann, dabei haben sich die beiden nur geküsst. An Arthurs Seite fühlte sich Helen oft allein gelassen, besonders nach dem Tod des fünfjährigen Tommy, den das Meer geholt hatte. Bill fühlt sich von Jenny erdrückt, träumt sich in andere Leben, vielleicht sogar mit Helen.
Immer klarer werden im Laufe der Geschehnisse, ob nun in der Gegenwart oder Vergangenheit, dass die Konflikte zwischen den Männern die Ursache für das Verschwinden sein musste. Außerdem hatte Vince Angst vor einer bestimmten Person und fühlte sich verfolgt. Seine Pistole ruhte gut versteckt im Turm. Als dann eines Tages ein Mechaniker der Firma namens Sid, der nie losgeschickt wurde, anlandet, kommen neue Geheimnisse ans Licht. Doch als Sid den Leuchtturm wieder verlässt, lebten noch alle drei. Die Tragödie jedoch nimmt ihren Lauf und nichts kann sie aufhalten.

Literarisch auf hohem Niveau und psychologisch gut durchdacht schaut Emma Stonex in die Köpfe ihrer ProtagonistInnen und erzählt vom einfachen Alltagsleben der Leuchtturmwärter-Familien, in denen die einen damit glücklich sind und die anderen nicht. Daneben ist der wichtigste Protagonist, das Meer in all seinen Facetten.
Gern folgt man der Autorin und ihrer Suche nach dem wahren Kern der Geschichte, die auf eine historisch verbürgte Geschichte auf der Insel Eilean Mòr in den Äußeren Hibriden zurückgeht.