Tana French: Der Sucher, Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, Scherz Verlag bei S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021, 495 Seiten, 22,00, 978-3-651-02567-7

„Cal wird klar, dass der Junge begriffen hat. Er hat begriffen, dass in dem Cottage irgendetwas passiert ist; etwas hat sich verdichtet, ist in den Brennpunkt gerückt, und der Einsatz ist rasant gestiegen. Er hat begriffen, dass die Situation in dem Moment außer Kontrolle geraten ist.“

Calvin John Hooper hat frustriert und ausgelaugt den Polizeidienst in Chicago verlassen, um sich im Nordwesten Irlands ein altes, kleines Haus mit großem Garten zu kaufen. Zu gern möchte der Achtundvierzigjährige das Haus ausbauen, dabei seinen Ruhestand genießen, wenige Menschen sehen und vor allem einen neuen Lebensabschnitt beginnen. Seine Frau Donna hat sich von ihm scheiden lassen, nachdem seine Tochter Alyssa brutal überfallen wurde. Cal hat zwar den Täter gefasst, aber in der Familie ist etwas zerbrochen.

Tana French zieht den Leser und die Leserin sehr langsam in diese Geschichte hinein, um das Erzähltempo dann immer mehr zu steigern.

Cal spürt während der Arbeiten am Haus, dass jemand ihn beobachtet. Noch hat er sich kein Gewehr zugelegt, aber langsam wird es Zeit. Im Pub bleibt Cal natürlich der Außenseiter und doch erzählen die alten Männer viel, wenn der Alkohol fließt. Cal erfährt vom Schicksal der kinderreichen Familie Reddy, die der Vater verlassen hat. Als Cal die Person schnappt, die ihn ausspioniert, ist es nur ein kleiner Junge namens Trey Reddy. Der Dreizehnjährige ist ziemlich maulfaul, aber geschickt beim Arbeiten. Nachbar Mart warnt Cal vor den Reddys, die nicht den besten Ruf haben.
Währenddessen werden bei den Schafzüchtern immer mehr Tiere durch seltsame Verletzungen getötet. Ist es ein Berglöwe oder eine extrem wilde große Katze?

Es dauert eine ganze Weile ehe Cal erkennt, dass Trey, eigentlich Theresa, ein Mädchen ist. Sie hat den Kontakt zu Cal, dem Polizisten gesucht, weil sie ihren Bruder Brendan sucht. Die hiesige Polizei unternimmt gar nichts, um einen verschwundenen Neunzehnjährigen aufzuspüren. Trey ist fest der Meinung, dass Brendan etwas passiert ist und er nicht einfach so abhauen würde. Cal soll nun diese Aufgabe übernehmen, obwohl er gar keine Befugnisse hat. Allerdings war Cal auch der „Sucher“ in Chicago und er hatte seine Methoden. Allerdings muss er nun auf irischem Boden geschickt die Mutter, die Ex-Freundin und auch die Freunde von Brendan in Gespräche verwickeln, um Informationen zu erhalten. Er darf nicht zu neugierig erscheinen und erzählt immer sehr eigenwillig von seinen eigenen Geschichten und baut Vertrauen auf. Ärgerlich ist, dass im Ort alle genauestens über Cals Schritte informiert sind. Auch seine freundschaftliche Beziehung zu Lena, der Schwester von Noreen, die den Lebensmittelladen führt, bleibt nicht geheim. Dabei will Cal nur einen Welpen kaufen.
Nach und nach kann sich Cal ein Bild von Brendan und seinen persönlichen Umständen machen. Was Trey erfahren wird, wird sie nicht froh machen.

Literarisch ist dieser Roman ein Gewinn, denn die irische Autorin erzählt bildreich und fesselnd von Menschen, die vom Glück nicht gerade verfolgt werden. Geschickt spielt sie mit poetischen Bildern, baut herrliche Dialoge und überzeugt durch Figuren, deren Handeln durchaus glaubhaft ist.