Veit Heinichen: Borderless, Piper Verlag, München 2019, 464 Seiten, €16,99, 978-3-492-06147-6

„Die Aussage des Mannes bestätigte ihre Vermutungen. Sie waren alle hintereinanderher. Wenn sie die gesamte Dimension erste einmal übersichtlich darstellt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Generalstaatsanwaltschaft die Sache über alle Köpfe hinweg in andere Hände legt. Fraglich, ob dann tatsächlich jemals Licht in die Sache gebracht wird und alles an die Öffentlichkeit kommt. Wenn die internationale Politik greift, sind Paragrafen Altpapier, die Demokratie verkommt zum Schimpfwort.“

Commissario Capo Xenia Ylenia Zannier heißt die neue Ermittlerin in Veit Heinichens Thriller, der in Triest und Grado, also zwischen Italien, Kroatien und Slowenien spielt. Commissario Proteo Laurenti, der eigentliche Held der letzten zehn Triest-Krimis und Verfilmungen, glänzt im Hintergrund als Unterstützer der jungen Polizistin, die mit Verve und Körperbeherrschung das Kommissariat in Grado leitet. Ihre Hauptfeindin, deren Einfluss weit reicht, ist die korrupte jetzt fast sechzigjährige Senatorin Romana Castelli de Poltieri, die mit ihrem Bruder in allen möglichen Geschäften vom Waffenschmuggel, über dubiose Bankenfusionen, Zusammenlegung von Chemiekonzernen bis hin zu rechtsradikaler Meinungsmache steckt. Sie gibt sich sozial und menschenfreundlich, da sie zu Spottpreisen Land aufgekauft hat und dort nun zu horrenden Summen Flüchtlinge wohnen lässt. Natürlich ist die Senatorin durch ihre Immunität nicht angreifbar, zumal zu einem Festakt geplant ist, dass sie die deutsche Kanzlerin treffen soll. Immerhin winkt ein hoher Posten bei der OSZE, ein Hohn in Anbetracht der Aktivitäten der Senatorin. In diesem Geflecht aus Korruption, Abhängigkeiten und Machtmissbrauch spielt auch der BND eine unrühmliche Rolle.

Veit Heinichen sagte in einem Interview:

„Jeder Stoff braucht seine Protagonisten. Es muss, um die Authentizität herzustellen, eine absolute Deckungsgleichheit zwischen Protagonist und der Materie herrschen. In diesem Fall ist das ein sehr brennendes Thema, obwohl ich vor sieben, acht Jahren mit dem Schreiben begonnen habe und 13 Fassungen zu bewältigen hatte, bis es endlich lesbar wurde, was es jetzt auch sehr ist. Es soll Sie ja nicht loslassen. Diese Dramaturgie zu finden, hat mir dann unter anderem die Xenia geholfen.“

Veit Heinichen konstruiert aus verschiedenen Richtungen und in Rückblenden seinen Plot und lässt alle Personen an der Adria zusammentreffen. Entscheidend für die Geschichte ist der Beginn des Balkankrieges, die Umgehung des Waffenembargos und der Schmuggel von NVA-Waffen über Kroatien mit Wissen der Senatorin. Wer hat woran verdient, wer ist von wem erpressbar – all diese Fragen wurden von einem Journalisten aus Österreich recherchiert. Allerdings wird Jordan S.Becker, der in engem Kontakt zu Xenia Zannier steht, seit kurzem bedroht und letztendlich grausam nach einem Gespräch mit dem Staatsanwalt in Salzburg ermordet. Natürlich vermutet man einen terroristischen Anschlag, immerhin wurde Becker in aller Öffentlichkeit enthauptet. Becker hatte kurz vor seine Hinrichtung verfügt, dass alle belastenden Unterlagen an Xenia Zannier gesendet werden.

Doch dann landet eine große Anzahl von Geflüchteten auf dem Festland und klar ist, die Schleuser kennen sich aus. Steckt ein ehemaliger Frankfurter Banker hinter diesen Aktionen? Xenia Zannier lässt nach dem Boot suchen und stellt fest, dass auch chemische Substanzen transportiert wurden. Fremdenfeindliche Parolen prangen überall an den Fassaden und die Polizei kann nicht alle beseitigen. Die Stimmung, auch in der Questura, ist angeheizt.
Xenia Zannier muss sich vorsehen, wenn sie gegen rechte Schläger vorgeht. Ihr eigener Bruder, eigentlich ihr Cousin ( Xenia Zannier ist bei ihrer Tante aufgewachsen.), hat sich angeblich selbst in der Zelle getötet als gegen ihn Anklage wegen Gewalt gegen Rechte erhoben wurde. Die Schuld für seinen Tod gibt Xenia Zannier der Senatorin und ihren Handlangern.

Aber auch im BND ist ein Machtkampf ausgebrochen, der ebenfalls an der Adriaküste tötlich ausgetragen wird. Ob es überhaupt noch zu einem Treffen mit der Kanzlerin kommt, ist fraglich, denn Xenia Zannier sorgt nicht nur für die Veröffentlichung der Becker – Unterlagen, sie nimmt auch Verhaftungen gegen den Willen ihrer Vorgesetzten vor und weiß, dass sie genug Beweise hat, um z.B. den Bruder der Senatorin dingfest zu machen.

Spannend bis zur letzten Seite mit zahlreichen Akteuren, atemlos wie schlüssig bis ins Detail erzählt Veit Heinichen von den Machenschaften deutscher wie italienischer Politiker und Strippenzieher, die ihre Schäfchen ins Trockene ohne Rücksicht auf Verluste bringen wollen. Beängstigend, wenn man bedenkt, welche rechten Kräfte in Europa wieder Fuß fassen und wie sie von Bürgern der EU unterstützt werden.