Ada Fink: Blütengrab, Wunderlich Verlag veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg 2021, 446 Seiten, €16,00, 978-3-8052-0059-2

„Im Büro kann sie nicht mehr an sich halten und tritt als Erstes ihren Schreibtischstuhl um. Der Druck ist zu groß. Ein totes Mädchen, ein anderes in Lebensgefahr, einen Mann in Notwehr erschossen, ihr Bruder vielleicht mit den Tätern verstrickt und diese dumpfe Ahnung, dass Christas und ihre gemeinsame Geschichte ein Element des Falls ausmacht.“

Mai 1993: Kriminaloberkommissarin Ulrike Bandow arbeitet als Ermittlerin in einem wirklich kleinen Ort in der Nähe von Schwerin. Viele Einwohner haben nach dem Mauerfall und dem grassierenden Arbeitsstellenabbau ihre Heimat verlassen. Ulrikes Mutter jedoch hat in Windeseile ihre Kinder und das Haus gleich nach der Wende verlassen. Jetzt arbeitet sie in irgendeinem Hotel in Berlin. Um den minderjährigen Sohn musste sich Ulrike kümmern, doch Marc ist nun achtzehn Jahre alt und nicht gerade ein Sonnenschein. Ulrikes Mutter ist Polin und hat ihrer Tochter ihre Muttersprache beigebracht, ein Vorteil für den neuen Fall.
Gebettet auf weißen Blumen mit grausigen Ritzmalen im Körper, gequält, vergewaltigt und misshandelt findet die dreizehnjährige Ingrid eine Tote im Dohlenwald. Das Opfer ist noch ein Kind. Sein Lebensende muss unvorstellbar grausam gewesen sein.
Ingrid ist das Kind einer Familie aus Göttingen, die sich einen Hof in Wussnitz gekauft hat, um hier ihren rückwärtsgewandten Vorstellungen zu frönen. Sie kennen sich mit der germanischen Mythologie bestens aus und auch Ingrid, die Angst hat, dass ihre Mitschüler, sie wieder Nazikind nennen, weiß um die Bedeutung der Runen, die am Körper der Toten zu sehen sind.
Ada Fink öffnet in diesem Thriller mehrere Handlungsebenen und lässt mal aus der Sicht von Ulrike Bandow und dann wieder aus der Perspektive ihres neuen Kollegen aus Kiel, Ingo Larssen,
berichten. Jeder trägt ein Päckchen aus der Vergangenheit mit sich herum.
Ulrike fühlt sich schuldig, weil sie ihrer Freundin Christa als beide ebenfalls dreizehn waren, nicht geglaubt und geholfen hat. Außerdem hatte ihr Vater, der ebenfalls bei der Polizei arbeitete, ihre Aussage forciert. Als Ulrike jedoch am Hals des toten Kindes eine Silberkette mit einem Marienkäfer sieht, erinnert sie sich an Christa, die ebenfalls in einem Kinderheim leben musste und diese Kette trug.
Doch wie hängen diese Geschichten zusammen?
Ingo Larssen mit seinen gut fünfzig Jahren ist ein erfahrener Ermittler. Doch die ostdeutschen Polizeikollegen empfinden ihn, viele sprechen aus Erfahrung, eher als jemanden, der in den Osten kommt, weil er seine stagnierende Karriere wieder in Schwung bringen will oder einfach denkt, er wisse sowieso alles besser. So viele Erfahrungen hatten die ehemaligen DDR-Leute schon gemacht, um einschätzen zu können, was der „Wessi“ für ein Typ ist. Larssen hat sich aus einem ganz bestimmten Grund in den Osten versetzen lassen, er sucht seine Tochter Yvonne, ein ehemaliges RAF-Mitglied.
Eine erste Spur ergibt sich, als die Polizei im LKW des bekannten Rechtsradikalen Frank Reinelt ( Christa ist seine Frau.) Fingerabdrücke vom Mordopfer finden. Das Mädchen stammt aus einem Kinderheim im polnischen Swinemünde. Und noch ein Mädchen ist verschwunden, ebenfalls aus einem Kinderheim in Stettin.
Mit unheimlicher Besessenheit leitet Ulrike den Fall, Larssen ist dagegen völlig entspannt. Er meint auch, und er wird Recht behalten, dass dieser speziellen Art der Tötung bereits ein ähnlicher Fall vorausgegangen sein muss. Reinelt hatte nur seinen Wagen zur Verfügung gestellt, die Auftraggeber sind die Brüder Kegel, die sich in einer ehemaligen LPG verschanzt haben. Ulrike wird einen der Brüder erschießen, der andere wird der Polizei stecken, dass sie bald ihre Ermittlungen einstellen werden, denn dieser Fall von Pädophilie geht allerhöchste Kreise an. Und kaum gesagt, ruft auch schon der Staatsanwalt an, und versucht, die Ermittlungen zu behindern.
Aber nicht mit Ulrike Bandow und Ingo Larssen.
Gut gebaute, temporeiche und mit einem umfangreichen Personal ausgestattete Handlung, die aber auch in ihrer Perversität, was den Fall angeht, unerträglich ist. Die Geschichte will weismachen, wozu die Staatssicherheit zu DDR-Zeiten fähig war und wie Vergangenes im Gegenwärtigen sich wiederholt. Ada Finks Ermittler raufen sich jedenfalls zu einem Team zusammen und sind als Figuren äußerst überzeugend. Ohne Handy, Internet und E-Mail- Austausch wirkt der Krimi nicht retro, er kann vieles aufarbeiten, was in der Zeit der Übernahme des Beitrittsgebietes DDR so alles schief gelaufen ist und bis heute nachwirkt. Und auch Bandow und Larssen können vieles für sich herausfinden, was sie bisher nicht wussten.