Franziska Fischer: Unsere Stimmen bei Nacht, DuMont Verlag, Köln 2023, 287 Seiten, €23,00, 978-3-8321-8225-0

„Für sie alle wäre mehr Platz im Haus, wenn es nicht so voller Vergangenheit wäre.“

Im so gut betuchten Berliner Südwesten schauen die Lesenden hinter die Fassade einer alten Villa, deren Eigentümer, Gloria und Herbert Sobrowski, ihr großes Haus vermieten, um die Rechnungen zahlen zu können. Glorias vier Tage – Job am Empfang eines Immobilienbüros ernährt kaum beide. Doch verkaufen ist keine Option, hier haben sie ihre Kinder aufgezogen, hier beherbergen sie alle ihre Erinnerungen und das Antiquariat von Herbert, der nach Glorias Meinung viel zu früh in Rente gegangen ist.

Alles beginnt mit dem Einzug von Lou in die preiswerte WG – Villa. Sie belegt das letzte Zimmer. Als unruhiger Geist findet die Fünfunddreißigjährige keinen Anker. Sie gibt Tanzunterricht und kann nicht länger bei ihrer Freundin wohnen. Ihre Nachbarn sind Gregor, ein stets beschäftigter Chemieprofessor mit seiner zwölfjährigen Tochter Alissa und Jay, ein Student, der gern zur Gitarre greift.

Mit großer Leichtigkeit lässt Franziska Fischer jeweils aus der Sicht ihrer Protagonisten jeden gedanklich zu Wort kommen. Die Konstruktion des Romans ist vielversprechend: Erzählt wird im Wechsel der Perspektiven, woraus sich spannungsreiche Interferenzen zwischen den jeweiligen Wahrheiten der Figuren ergeben. Festes Zentrum allen Erzählens sind Haus und Garten. Die sozial denkende Gloria fordert keine zu hohe Miete und sie bietet am Freitagabend ein gemeinsames Essen an, je nach Anmeldung. Nach und nach entspinnen sich die typischen Küchengespräche am Tag und in der Nacht. Jeder gibt von sich preis, was er möchte. So erzählt Alissa, die kurz vor ihrem MSA steht und am liebsten zeichnet, von ihren getrennten Eltern, die sogar in ihrem Schweigen in der damaligen Vier-Zimmer- Wohnung den Geburtstag der Tochter vergessen haben. Lou berichtet, dass sie adoptiert wurde, und von den Erwartungen der Eltern überfordert war. Herbert ist von den Untermietern und der Unruhe im Haus nicht sonderlich begeistert und als Jay versucht, das Buchgeschäft durch eine Onlinepräsenz aufzupeppen, sträubt er sich anfänglich.

Mit dem Sommer beginnt die kleine Gemeinschaft, den Garten für sich zu entdecken. Fast zum Ritual wird das Zusammensitzen aller, wobei jeder seinen eigenen Tätigkeiten nachgeht und sogar der introvertierte Gregor sich zu den Mitbewohnern gesellt.

Gloria beginnt langsam ihr Haus, in dem Generationen gewohnt haben, auszuräumen. Aber eigentlich forscht sie immer mehr nach ihrer eigenen Vergangenheit, ihrer ersten großen Liebe und allem was danach geschehen ist. Warum all dies mit Lous Anwesenheit zu tun hat, muss man unbedingt lesen.

Langsam, sehr langsam entwickelt sich die Handlung dieses Romans und zeigt wie nah sich eine Gruppe von doch sehr unterschiedlichen Menschen kommen kann und durch die Gemeinschaft profitiert.

„Sie waren eine merkwürdige Gruppe an Menschen, dachte Lou. Alle zusammen in dieses Haus geschüttet, und manchmal war es so, als gäbe es keine Außenwelt mehr, nur sie, sechs Personen die einander genug sein mussten, dabei konnte das doch nicht genug sein.“