Ursula März, Stephan Lebert: Stillstandsturm, Briefe aus dem Lockdown, Piper Verlag, München 2020, 272 Seiten, €20,00, 978-3-492-07078-2

„Ich bin einfach nicht bereit, die Corona-Phase in einer Art Wartezustand zu verbringen. Warten darauf, dass das Unnormale endet und das Normale wiederkehrt – wenn es wiederkehrt. Das hat ganz simpel auch mit Lebenszeit zu tun.“ ( Ursula März )

Zwei Journalisten beginnen am 18. März 2020, zu diesem Zeitpunkt sind die meisten Leute bereits nicht mehr an ihren Arbeitsplätzen, einen E-Mail Austausch. Er endet am 16. Mai.

Betreff: Auf Sicht fahren

Ursula März ist eine bekannte Literaturkritikerin ( Zeit,

Deutschlandfunk Kultur u.a. ), die sich zuletzt mit ihrem erfolgreichen sehr unterhaltsamen autobiografischen Debütroman „Tante Martel“ (Piper Verlag ) dem Alltagsleben zugewandt hatte. Stephan Lebert entstammt einer Familie von Journalisten. Er arbeitet als Redakteur bei der Zeit. Bei dem Namen Lebert denkt man unwillkürlich an seinen Neffen Benjamin oder an seinen Bruder Andreas.

Das Gute an diesem lebendigen Austausch, in dem es immer um die unmittelbaren Tagesereignisse in einer Zeit drehen, in der niemand so richtig wusste, wie es nun weitergeht, ist die Zeugenschaft, die Chronologie der ganz klar unfassbaren wie einmaligen Ereignisse. Wer hat wann eine Rede gehalten, was wurde offiziell beschlossen, wie hat man sich im öffentlichen Raum zu bewegen. Weder Ursula März noch Stephan Lebert geben dem ganzen einen philosophischen Rahmen oder eine Bewertung. Sie schreiben nicht mit dem Gefühl, das soll ja mal ein Buch werden. Sicher gibt es hinsichtlich des Privaten sicher eine Eigenzensur und doch erfährt der Leser auch vieles aus dem Alltagsleben der, und das muss man nun wirklich sagen, in der Corona-Zeit unfreiwillig privilegierten Journalisten.

Ursula März ist es sowieso gewohnt, zu Hause zu arbeiten und über Strecken mit sich allein klarkommen zu müssen. Und Stephan Lebert kann auch ohne große Konflikte ins Homeoffice wechseln. Hier fehlt den beiden, aber das kann man ihnen nicht ankreiden, das existentielle Moment. Sie bangen nicht um ihren Arbeitsplatz. Es scheint eher zu sein, als würden sie auch mit Freude das Neue beobachten und ein bisschen sezieren. So steht Ursula März auf ihrem Balkon und beklatscht diejenigen, die sich nicht ins Private zurückziehen können. Sie spricht vielen Lesern aus dem Herzen, wenn sie als Lektüreempfehlung nicht „Die Pest“ erwähnt, sondern die wunderbaren Romane von Elizabeth Stroud. Und so berichtet Ursula März weniger von ihrer Arbeit, zu Beginn hat sie gar keine Ruhe zum Lesen, sondern eher vom Virus bedingten Zusammenleben mit ihrer erwachsenen Tochter, den Ausflügen an den Schlachtensee, den Besuchen beim Bruder, ihrer Lieblingssendung im Fernsehen und dem Versagen der Technik, ein Fiasko gerade in dieser Zeit. Spannend ist ihr Blick, auch aus der Distanz einer 63-Jährigen, auf das Arbeitsleben in ihrer Zunft, wobei Stephan Lebert ein verständiger Leser ist. Er offenbart ebenfalls einiges, was ihm fehlt. So kann er nicht mehr auf die Rennbahn gehen, muss eine Therapie unterbrechen, erzählt von seinem wortkargen Stiefsohn, der sein Abitur unter diesen schwierigen Bedingungen ablegen muss.
Geschichten werden ausgetauscht, u.a. über Begegnungen mit Peter Handke, die mal mehr mal weniger interessant sind.

Beim Lesen erwischt man sich dann bei seinen eigenen Gedanken. Wie hatte man selbst über die aufgezwungenen Veränderungen gedacht? Glaubte man wirklich, im Sommer ist alles vorbei?  Jetzt aus dem Rückblick heraus weiß man, nichts ist vorbei, ganz im Gegenteil.