Donna Leon: Stille Wasser – Commissario Brunettis sechsundzwanzigster Fall, Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz, Diogenes Verlag, TB, Zürich 2017, 343 Seiten, €13,00, 978-3-257-24455-7

„Sie verfielen in Schweigen, drei Venezianer bei der Totenwache für ihre Stadt, die einst ein Weltreich war und jetzt das Tafelsilber verscherbelte, um die Heizkostenrechnung zu bezahlen.“

Um Pucetti, Guido Brunettis jungen und eigentlich erfahrenen Kollegen, von einer spontanen Handlung während eines Verhörs abzuhalten, täuscht der Commissario einen Schwächeanfall vor. Am liebsten würde Brunetti im Krankenhaus schnell von der Trage hüpfen, aber die diensthabende Ärztin weißt ihn darauf hin, dass sein Blutdruck viel zu hoch ist und eine Auszeit keine schlechte Idee sein könnte. Paola unterbreitet ihrem Gatten einen guten Vorschlag, den er nicht abschlagen kann, und so soll sich Brunetti zwei Wochen in der Villa von Paolas Familie auf Sant‘ Erasmo erholen. Vorsorglich deckt sich der lesende Polizist mit seiner Lieblingslektüre ein, Bücher von Plinius, Herodot und Euripides. Allerdings hofft Brunetti in diesem heißen Sommer auch, in der Lagune rudern zu können. Als er vom Verwalter der Villa, Davide Casati, empfangen wird, stellt er gleich fest, dass Casati ein guter Bekannter seines verstorbenen Vaters ist. Die Männer gehen schnell zum Du über und verbringen viele gemeinsame Stunden, in denen Brunetti sich beim Rudern körperlich ziemlich verausgabt und Casatis Kummer bemerkt, denn seine Bienen sterben ihm langsam weg. Außerdem beobachtet Brunetti, dass Casati, den er für maßvoll, sensibel und vernünftig hält, Bodenproben in der Lagune nimmt. Aber Brunetti sieht auch beim Baden, dass Casati einen völlig vernarbten Rücken hat. Die Ruhe und Entspannung jedenfalls tut ihm gut, allerdings ist er doch sauer, dass Paola ihre Zeit lieber mit Jane Austen verbringen möchte als mit ihm.

Doch dann wendet sich das Blatt und nach einem Sturm wird Davide Casati vermisst. Brunetti findet mit einem Carabinieri den Toten und sein Boot. Seltsamerweise ist um den Fuß Casatis ein Seil gespannt. War es nun Selbstmord oder wurde Casati getötet? Doch warum sollte man einen alten Mann umbringen? Hat er sich sich getötet, weil „seine Mädchen“, seine Bienen gestorben sind, war er geistig kurzzeitig umnachtet, da er sich immer noch mit seiner geliebten Frau, die elendig und jung an Krebs verstorben ist, unterhält?

Brunetti kann nicht anders, er muss einige Fragen stellen und wie so oft, je mehr Brunetti nun über Casatis Leben erfährt, um so klarer wird, dass er ein Geheimnis hat. Jahrelang hat Casati mit einem guten Freund, Zeno Bianchi telefoniert, der beim gleichen Unfall, bei dem sich Casati die Verbrennungen auf dem Rücken zugezogen hat, das Augenlicht verloren. Er wohnt in einem schrecklichen Heim und die beiden alten Freunde haben sich überworfen, erzählt die Tochter von Casati. Schnell findet die unverzichtbare Elettra heraus, um welchen Unfall es geht und in welcher Firma die beiden gearbeitet haben. Beim Besuch von Zeno Bianchi staunen die Polizisten nicht schlecht, als sie ihn in einem komfortablen und äußerst kostspieligen Pflegeheim antreffen. Bianchi behauptet nun, dass Casati angeblich den Unfall mit den Müllfässern verursacht hätte. Doch Brunetti erkennt schnell, dass der sogenannte alte Freund eine Lüge nach der anderen erzählt. Ein weiteres Opfer des damaligen Brandes, Leonardo Pozzi, lebt ebenfalls in dem Pflegeheim. Auch er verbreitet skrupellos Unwahrheiten.
Die Gier nach Geld auf Kosten der Gesundheit von Mensch und Tier, dieses Thema umkreist Donna Leon aufs Neue in dieser eher rückblickend erzählten Handlung. Patta, Elettra, Brunettis Familie und natürlich Vianello spielen diesmal kaum eine Rolle. Alles konzentriert sich auf den Commissario und seine tiefe Enttäuschung über die moralisch-ethischen Schwächen der Menschheit.

Wer Donna Leon liest, liebt Venedig, die Inseln und die fehlbare Gesellschaft, die sie besiedelt. Und treue Leser teilen den Schmerz des Commissarios, der dieses Mal tief geht und kein Happy End verspricht.