Leena Lehtolainen: Schüsse im Schnee, Aus dem Finnischen von Gabriele Schrey-Vasara, Kindler Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017, 381 Seiten, €16.99, 978-3-463-40687-9

„In den letzten Tagen hatte ich bemerkt, dass sich Lovisa gegenüber Raimos Kindern ganz anders verhielt als gegenüber Johannes. Es war, als ob sie die Nachkommen ihres Neffen verabscheute, sich aber nach Kräften bemühte, es nicht zu zeigen.“

Bei ihrem neuen Auftrag soll sich die Personenschützerin Hilja Ilveskero um die 92-jährige Industrierätin Lovisa Johnson kümmern. Getarnt als Sekretärin, die die Memoiren der alten Dame aufzeichnet, wohnt Hilja nun kurz nach Weihnachten auf dem einsam gelegenen Gut Loberga Gard. Bereits auf dem Weg durch die Wälder, in denen eigentlich nicht gejagt werden darf, wird auf Hilja geschossen. Hilja wirft jedoch so schnell nichts um, sie ist korrekt, zeigt wenig Emotionen und ist professionell distanziert. Schnell wird klar, dass Lovisa sich bedroht fühlt, nicht von den Jägern, die illegal auf ihrem Land Wild schießen. Sie mutmaßt, dass ein Familienmitglied ihr nach dem Leben trachtet. Dabei sind in dieser Familie nicht wenige durch Unfälle oder Unglücke ums Leben gekommen. Vier Großnichten und Großneffen sind noch da: Johannes, ein altruistischer Arzt, Aurora, eine selbstverliebte wie überspannte Heilpraktikerin mit sensorischen Kräften, Raisa, eine harte Businessfrau und Sampo, ein gescheiterter Polizist, der nun bei einem Securitydienst arbeitet.

Ganz diffizil sind die Angriffe auf die energische, in ihrem Leben auch ohne Mann erfolgreiche Geschäftsfrau. Mal wurde ein Ball auf der Treppe liegengelassen, mal wurden seltsame Pralinen geschickt. Die Polizei geht den Vermutungen eher halbherzig nach. Echtes Vertrauen schenkt die Hausherrin ihrer serbischen Haushaltshilfe Dunja, die bereits seit 15 Jahren für sie arbeitet und ihrem angeblichen Lieblingsneffen Johannes. Im Laufe der Geschichte wird sich jedoch herausstellen, dass er viel mehr als das ist. Als Johannes vier Jahre alt war, ist er ins Eis eingebrochen. Seine Mutter, die ihn retten wollte, ist bei dem Versuch ertrunken. Johannes wird die Hälfte des Erbes erhalten und die anderen drei den übrigen Anteil.

Hilja begibt sich auf ihren Beobachtungsposten und beginnt das Haus und ihre Auftraggeberin nach und nach abzusichern. Immer wieder spürt und hört sie von den Anverwandten latent ausländerfeindliche Sprüche. Als dann Johannes auch noch einen geflüchteten homosexuellen Russen bei der Tante verstecken will, fühlt sich Hilja etwas überfordert. Nach und nach werden die Familiengeschichten erzählt und Hilja liest mit großen Schwierigkeiten, da kaum Empfang ist, die Hass-Mails gegen die alte Dame. Angeblich seien wilde Tiere auf ihrem Grund und Boden und niemand darf diese schießen.

Tief eingeschneit und nur durch die Besuche der Verwandten aus dem Dornröschenschlaf geweckt, liegt das Gut. Angeblich sollen sich zwei Iraker in der Gegend herumtreiben. Ihre Asylanträge sind abgelehnt worden und nun würden sie versuchen, illegal in Finnland zu bleiben. Sampo, als Angehöriger einer extremistischen finnischen Organisation, den Söhnen des Vaterlandes, jagt die beiden mit einem Freund. Hilja empfindet nur Verachtung für ihn. Zu Johannes jedoch entspinnt sich langsam eine Liebesbeziehung, die eher von Hilja beschleunigt wird.

Als dann jedoch ein seltsamer Autounfall nach einem Anruf von Raisa, die als Unternehmerin in der Erdölbranche tätig ist und als Putin-Freundin gilt, geschieht, wendet sich die Geschichte. Hilja kann dem Auto gerade noch so ausweichen, dass auf der glatten Straße gegen einen Baum knallt. Am Steuer des alten Wagens ohne polizeilichem Kennzeichen sitzt der Ehemann von Raisa, Leo Priha. War es Selbstmord oder hat ein fanatischer Umweltschützer das Leben des Lobbyisten beendet?

Lovisa verkraftet all die tragischen Geschehnisse nicht mehr, sie verfällt immer mehr in Erinnerungen an die ihr eigenes Leben, in dem ein Mann, Mitja, auf jeden Fall eine kurze und wichtige Rolle gespielt hat. Die selbstsüchtige Aurora nervt ihre Schwester Raisa mit ihren hellseherischen Fähigkeiten und Hilja muss mit ihren Gefühlen für Johannes klarkommen.
Immer wieder pendelt die Handlung zwischen dem Unfall von Leo, den Erinnerungen Lovisas, aber auch Hiljas Erinnerungen an ihre Arbeit hin und her. Immer mehr Informationen offenbart Lovisa von ihrem Leben, immer mehr gerät die Bedrohung ihres Lebens in den Hintergrund. \r\n\r\nLeena Lehtolainen greift in ihrem Krimi rund um die Personenschützerin Hilja alle möglichen aktuellen Themen auf, zum einen die Flüchtlingskrise, den Egoismus und die Gleichgültigkeit der Menschen, aber auch die Gier nach dem schnellen Geld auf Kosten der Alten, die einfach nicht abtreten wollen. Das liest sich zu Beginn sehr spannend, aber dann verheddert sich die finnische Autorin in zu vielen Details rund um ihre Figuren und deren Konflikte mit der Gesellschaft.
Hilja wird letztendlich ihren Auftrag bis zum Ende führen, aber bis es soweit ist, hat man schon längst vergessen, worum es eigentlich ging.