Shira Gill: Minimalista – Besseres Zuhause – besseres Leben, Aus dem amerikanischen Englisch von Nina Kavela, Prestel Verlag, München 2022, 320 Seiten, €25,00, 978-3-7913-8875-5

„Zerbrechen sie sich beim Entrümpeln nicht allzu sehr den Kopf. … Genießen Sie den freien Platz. Und laden Sie die Spendenkiste sofort in Ihr Auto!“

Der Mensch ist unordentlich und bequem. Wenn er dies als Luxusproblem erkennt, braucht er Hilfe. Doch was ist das für eine Generation von Frauen, davon gehe ich jetzt mal aus, dass Frauen von Shira Gill angesprochen werden sollen, die eine „Lifestyle- und Organisationsexpertin“ benötigt, um ihren Schrank auszumisten? Im Schlepptau der allgemein so gepriesenen Achtsamkeit, die sich natürlich zum größten Teil auf das Individuum selbst bezieht, folgt nun das Entrümpeln der überflüssig angehäuften Dinge, als seien zu viele Menschen durch den ökonomisch ebenfalls gewollten Überfluss zu Messies geworden. Mögen die japanischen oder auch amerikanischen Wohnungen in den Großstädten zu klein sein, so plagen die meisten Menschen im deutschsprachigen Raum doch wohl die gleichen Probleme, denn die meisten haben sicher zu wenig als zu viel Platz. Doch die Zielgruppe scheinen nicht die Menschen mit kleine Wohnungen zu sein, denn Shira Gill spricht gern von Häusern. Nun ist die Ich-muss-alles-aufheben-könnte-man-ja-irgendwann-wieder-brauchen-Generation langsam ausgestorben. Sie hat noch sparen müssen, um sich etwas leisten zu können. Heute sind Kleidung, auch Lebensmittel zum Teil so spottbillig, und die Anreize zu kaufen, so verlockend, dass Frau einfach zugreift. Hier setzt Shira Gill an und türmt natürlich auch die Müllberge, die schwer abbaubaren Klamottenberge, Plastik im Haushalt und den Klimawandel vor dem inneren Auge der umweltbewussten Lesenden auf.
Was braucht der Mensch wirklich, das ist offensichtlich Shira Gills Frage. Die Antwort: Wer kleine Wohnungen hat, räumt sicher von allein alles weg, was einfach den Wohnkomfort zur Plage werden lässt.
Andere, die fünfzehn schwarze Hosen im Schrank zu hängen haben, benötigen Hilfe. Mag die Autorin ein ausgefeiltes System entworfen haben, wie sie dem Überfluss an den Kragen geht, so scheint sie auch eine bestimmte Sprache dafür zu benötigen. Ein Beispiel:
Für seine anfallenden Papiere benötigt jeder nur eine Ablage. Was ist daran nicht zu verstehen, dass die Autorin wie eine Oberlehrerin mit ihrem breiten Grinsen immer wieder in Großbuchstaben darauf hinweisen muss?

„ODER SOLL ICH DAS NOCH ETWAS LAUTER SAGEN? GERNE? Nur EINE Ablage. Eine Kiste oder ein Korb genügt.“

Wie man strukturell ans Aufräumen geht, erklärt sie auch gern. Beachtlich dabei ist die sogenannte „Kapselgarderobe“. Je nach Typ werden Vorschläge gemacht, wie so eine Kapsel aussehen könnte.
Allerdings fragt man sich, warum in der legeren Kapsel 10 Blusen / Pullover, 10 Jeans / Hosen und 10 Paar Schuhe sein sollten. Wer braucht zehn paar Schuhe? Oder wer trägt zehn paar Hosen, wenn man doch einmal in der Woche waschen kann?
Allen praktischen Binsenweisheiten der „Lifestyle- und Organisationsexpertin“, die auch unsere Mütter schon von sich gegeben haben, die wir nur nicht hören wollten, wird die nahe Zukunft sowieso einen Riegel vorschieben. Erhöhte Energie- wie Benzinpreise, teure Lebensmitteln werden dafür sorgen, dass der spontane T-Shirt-Kauf, so billig er auch sei, ausfallen wird. Vielleicht bereuen so einige Leute auch angesichts dieser Entwicklung, zu viel weggeworfen zu haben.

Neben all den oberlehrerhaften Hinweisen der Autorin wäre der wahre Blick ins Leben viel interessanter gewesen. Ab und zu erzählt Shira Gill von ihren sicher betuchten Kundinnen, aber leider nur zu Beginn des Buches. Wie gern amüsiert man sich doch über die Fehler der anderen.
Leider sind die Tipps im Buch zum Teil auch fern jeglicher Realität. Wer kennt in Großstädten schon seinen Nachbar, den er auch noch fragen soll, ob er mit ihm zusammen ein schweres Möbelstück trägt?
Welche Freundin hat schon Lust, die Fehlkäufe der Freundin zu tauschen und zu tragen?
Was macht man wirklich gegen den Gruppenzwang, der suggeriert, was man alles benötigt, wenn ein Kind kommt? Wie kann man seinen Ehemann auf wirklich normale Art und Weise dazu bringen, auch mal seine Dinge auszumisten? Bekanntlich hängen Männer an ihren Sachen viel mehr als Frauen, auch wenn sie das ganze Schlafzimmer füllen.

Reales Leben hat in Sachbüchern vielleicht nicht so viel Platz, wie man sich wünschen könnte. Denn auch die Fotos von Vivian Johnson zeugen nicht von wirklichkeitsnahem Wohnen. Wie tot wirken die minimalistisch dekorierten Innenräume, in denen man nicht wagt, sich aufs edle Sofa zu setzen.

Leider ist auch dieses Sachbuch nicht dazu geeignet, für lange Zeit im Regal zu stehen.