Monica Ali: Liebesheirat, Aus dem Englischen von Dorothee Merkel, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2022, Seiten, €25,00, 978-3- 608-11826-0

„… eigentlich sollte ja die Baut im Haus des Bräutigams einziehen. Aber es war auch nicht so gedacht, dass die Mutter der Braut gleich mit einzog! Kein Wunder, dass sie kaum mehr schlafen konnte, bei all dem Stress. Von wegen, die englische Mittelschicht mischte sich nicht in die Eheangelegenheiten ihrer Kinder ein! Sie hatte noch nie in ihrem Leben so daneben gelegen.“

Yasmin Ghorami und Joe Sangster wollen heiraten. Die 26 – jährige Braut stammt aus einer indischen Familie, die an den Koran glaubt, und der etwas ältere Bräutigam wurde konfessionslos im gut betuchten London von seiner Mutter, die einen Namen im Bereich der Kunst hat, aufgezogen. Die Hochzeitsreise soll in die Toscana gehen, denn Harriet, Joes Mutter, hat dort ein Haus. Wird in der Familie von Joe alles bis ins Kleinste debattiert, so wird bei den Ghoramis über nichts, aber auch gar nichts gesprochen. Yasmin und Joe arbeiten in einem Krankenhaus, sie als Assistenzärztin, er als Gynäkologe. Alles hätte wunderbar sein können, würden die Eltern auf beiden Seiten nicht ihre Vorstellungen von der Hochzeit durchdrücken wollen. So kommt Joes allzu tolerante Mutter auf die Idee, dass ihr Sohn ja Muslim werden könnte, um die Familienmitglieder der eigenen Familie zu schockieren, und die der Gegenseite zu beeindrucken. Kurzum, die Hochzeitspläne führen zur langsamen Erosion der Ghoramis und auch im Hause Sangster entstehen Spannungen ohne Ende.

Und dann beginnt auch noch das Brautpaar, dass sich nicht allzu lang kennt, mit sexuellen Eskapaden. Joe, der trotz Therapeut, nicht Herr seiner Sexsucht wird, gönnt sich einen Quickie mit einer Kollegin im Krankenhaus, was natürlich in Windeseile zu Yasmin durchsickert. Sie gibt ihren Gefühlen, nicht aus Rache, aber doch Neugier nach, als ein um Jahre ältere Arzt sich für sie interessiert.
Als der Vater von Yasmin, ebenfalls Arzt aber nun im Ruhestand, mit einunddreißig Jahren nach Großbritannien einreiste, muss er sich alles hart erarbeiten. Um so schwerer fällt ihm, mitanzusehen, wie sein Sohn Arif nach dem schlechten Abschluss seines Soziologie Studiums in den Tag hineinlebt. Außerdem hat Arif ein Mädchen geschwängert. Als der Vater ihm mit Rausschmiss droht, eskaliert alles. Yasmins Mutter zieht aus Protest zu Joes Mutter, die ein großes Haus hat und gern die Tolerante spielt.
Yasmin hadert mit ihren ausstehenden Prüfungen und fragt sich zum ersten Mal, ob sie nicht Ärztin geworden ist, um ihrem immer mehr von der Familie enttäuschten Vater zu gefallen. Der Friede ist in den Familien der Brautleute gebrochen, denn Joe findet durch seinen Therapeuten heraus, dass die Nähe zu seiner Mutter ihn in seiner Entwicklung behindert.
Und dann bedrängt die Klinik auch noch Yasmin, die sich gegen eine rassistische Äußerung einer Angehörigen eines Patienten gewehrt hat, zu einer Entschuldigung und einem Training. Ein Hohn.

Monica Ali eröffnet in ihrem Seiten starken Roman alle möglichen Baustellen unserer Zeit. Da geht es um Identität, wahre Toleranz, die Rolle der Religion, natürlich Rassismus, aber auch komplizierte Eltern – Kind – Konstellationen und Liebe. Dass diese Liebesheirat auf wackligem Boden steht, ist von Anfang an klar.

Eins kann Monica Ali ganz wunderbar, ambivalente Figuren entwerfen und diese in dramatischen, wie auch komischen Szenen agieren lassen, ohne sie bloßzustellen. So liest es sich wirklich komisch, wie Yasmins Mutter, die alles pur nimmt und nie zwischen den Zeilen lesen kann, dutzendweise Tupperdosen mit indischem selbst gekochten Essen zum Antrittsbesuch bei Joes Mutter mitnimmt. Versinkt Yasmin vor Scham im Boden, so reagiert Joes Mutter mit Gelassenheit.
Immer wieder durchziehen den an Personal reichen Roman diese atmosphärisch so ganz dichten Szenen, die man förmlich vor sich sieht und miterlebt.

Ein Lesegenuss, mal komisch, mal tragisch, auf literarisch hohem Niveau.