Georg M. Oswald: In unseren Kreisen, Piper Verlag. München 2023, 208 Seiten, €24,00, 978-3-492-05883-4

„Sicher, ein Millionenerbe inklusive Traumhaus anzunehmen, gehört nun nicht unbedingt zu den härtesten Bewährungsproben, die das Leben so bereithalten kann, das war ihnen auch klar. Aber sie spürten sofort, dass diese Erbschaft ihre moralische Glaubwürdigkeit auf zugleich drastische und subtile Weise angriff.“

Nikolai und Tatjana Sandmann führen ein beschauliches Leben im Süden Deutschlands, wo die Mieten einfach mal die Hälfte des Einkommens schlucken und gerade das intellektuelle Prekariat nicht gut bezahlt in kleinen Wohnungen in allerdings guter Wohnlage mit angenehmen Einkaufsmöglichkeiten lebt. So empfinden es zumindest die Sandmanns. Sie arbeitet als Kuratorin und er als mäßig erfolgreicher Schriftsteller. Im Gegensatz zur Elterngeneration, die das kaum nachvollziehen kann, legen sie Wert auf Selbstverwirklichung und die sogenannte Life-Work-Balance. Allerdings hadern die Sandmanns mit der Klassenlehrerin ihrer Tochter Marie, die dem aufmüpfigen Kind keine Empfehlung fürs Gymnasium erteilen will.

In dieser Lebensphase überrascht die Familie Sandmann eine Erbschaft, die Tante Rose zwar angekündigt hatte, aber eigentlich von Nichte Tatjana nie so richtig ernst genommen wurde. Die freiheitsliebende Rose Weiß, die irgendwie an paranormale Phänomene glaubt, hatte nach dem Tod ihrer Schwester mit ihrem Schwager, dem Vater von Tatjana, keinen Kontakt mehr. Reich geheiratet verachtete sie die kleinkarierten Leute, die in Reihenhäusern leben. Ihre Vorstellungen vom Diesseits und Jenseits unterschieden sich doch erheblich, denn sie glaubte, dass sie nach dem Tod ihres Mannes Rudolf, einem Schüler von Wilhelm Reich, zu ihm noch eine spirituelle Verbindung aufrechterhalten konnte. Als diese abbrach, beendete Rose selbstbestimmt ihr Leben in der Schweiz.

Mit der Entscheidung für die Villa im Stil der Neuen Sachlichkeit, gelegen im Philosophenviertel, beginnt nun für die Sandmanns etwas völlig Neues. Zwar fahren sie immer noch ihren alten Golf, aber das wird sich sicher bald ändern. Klar ist auch, dass sie ihre alten sozialen Kontakte nicht mehr pflegen werden. So zerbricht an dieser Erbschaft auch die Freundschaft zu den gleichgesinnten Eltern von Maries Buddelkastenfreundin Lisa. Immerhin werden die Mädchen demnächst nicht mehr auf die gleiche Schule gehen, denn Maries Lehrerin bleibt hart und empfiehlt die Mittelschule, und somit den gesellschaftlichen Abstieg in den Augen der Sandmanns. Tatjana und Nikolai setzen nun alles in Bewegung, damit Marie an das katholische Privatgymnasium in der Nähe der Villa gehen kann. Der Geldsegen tut sein übriges und Tatjana besticht die Direktorin mit einer großen Spendensumme.

Schnell kommen Mutter und Tochter in der neuen Umgebung an, Nikolai tut sich eher schwer, denn immerhin ist es Tatjanas Erbe und er irgendwie Zaungast.

Als die Sandmanns dann ihre extrem reichen, auch etwas dubiose Nachbarn kennenlernen und mehr über die Geschichte ihrer Villa erfahren, könnte ihr moralischer Kompass ihnen einen anderen Weg zeigen. Doch das passiert nicht.

Geld macht nicht glücklich, doch es beruhigt ungemein. Die liberal eingestellte Familie Sandmann scheint sich schnell denen anzuschließen, die in anderen Kreisen verkehren, wo man sicher nicht über Geld redet, dieses aber auf welche Art und Weise auch immer verdient oder geerbt hat, die allergrößte Rolle spielt.

Georg M. Oswald zeichnet ein fein beobachtetes Bild einer Gesellschaft, in der die Reichen immer reicher und die Armen einfach arm bleiben.