Kimberly McCreight: Eine perfekte Ehe, Aus dem Englischen von Kristina Lake-Zapp, Droemer Verlag, München 2021, 543 Seiten, €14,99, 978-3-426-28262-5

„Aber jetzt wusste ich es. Und es war vermutlich, der wahre Grund dafür, dass Zach mich herausgepickt hatte, um ihn zu vertreten: Er war pleite. Jeder andere Anwalt hätte einen riesigen Vorschuss verlangt.“

Um es gleich vorwegzunehmen, niemand in diesem Thriller führt eine perfekte Ehe, denn diese existiert nicht. Jeder hat Geheimnisse vor dem Partner, ob es nun große oder kleine sind. Ob die Desillusionierung so extrem sein muss, wie bei den Paaren, die Kimberly McCreight in den Mittelpunkt ihres Roman stellt, bleibt der Beobachtungsgabe des Lesers überlassen.

Alles beginnt mit einem Anruf. Lizzie Kitsakis, die in der New Yorker Kanzlei Young & Crane arbeitet, hört am Telefon Zach Grayson, der von der berüchtigten Gefängnisinsel Rikers Island aus anruft. Einst waren die beiden mal Kommilitonen. Zach hat angeblich einen ermittelnden Polizisten angegriffen. Er sagt, er habe ihn nur aus Versehen verletzt. Allerdings geschah dies in dem Augenblick, wo Zach von der Leiche seiner Frau weggezogen werden sollte. Jemand hatte sie mit äußerster Brutalität nach einer Party in der Nachbarschaft erschlagen. Das Mordinstrument, ein Golfschläger, liegt neben der Blutlache.
Eigenartig ist, dass der Multimillionär und Selfmademan Zach nicht auf Kaution freigelassen wird.
Trotz Unschuldsvermutung sitzt er in einem Gefängnis wegen Angriffs auf einen Polizisten? Für die Polizei ist völlig klar, wer der Mörder ist. Die Untiefen des amerikanische Rechtssystems und die Denkweisen der juristischen Vollstrecker ziehen sich wie ein roter Faden durch die Handlung.
Auch wenn Lizzie sich nicht richtig zuständig fühlt, übernimmt sie diesen Fall. Zumal Zach, zu gut informiert, sie an der Angel hat. Sie hat bei ihrer Einstellung in der neuen Kanzlei nicht angegeben, dass sie auf einem riesigen Schuldenberg sitzt. Nicht sie hat diesen verursacht, sondern ihr Ehemann Sam. Als Journalist ist er durch seine Alkoholsucht tief gefallen. Ein professioneller Entzug wäre seine einzige Rettung, aber dafür fehlt das Geld.

Kimberly McCreight erzählt aus unterschiedlichen Perspektiven. Mal kommt Lizzie mit ihren Recherchen zu Wort, mal Amanda, die erschlagene Ehefrau, die in Rückblenden sechs Tage vor der Party von ihrem Leben erzählt.
Mit Zach und ihrem zehnjährigen Sohn Case lebt die äußerst attraktive Amanda im edlen Brooklyner Stadtteil Park Slope mit seinen gediegenen Brownstone-Häusern. Sie ist mit mehreren Ehepaaren in der Gegend befreundet, da auch deren Kinder wie Case auf die elitäre Grace Hall School gehen. Deren Sicherheitssystem ist allerdings nicht vom Feinsten und so konnte jemand die Kontaktdaten der Schüler hacken. Amanda leitet die Hope-First-Stiftung ihres Mannes und ist mit der charismatischen Sarah, ebenfalls Mutter von Kindern an der Grace Hall School, befreundet.
Amandas Vergangenheit spielt für ihren Ehemann keine große Rolle, allerdings weiß der Leser aus den Tagebüchern Amandas, dass sie als Kind vom Vater missbraucht wurde. Immer wieder glaubt Amanda, dass ein anonymer Anrufer sie unter Druck setzen will und dass dieser „Scheißkerl“ ihr Vater sein könnte.
Hilfe erhofft Amanda von ihrer Freundin Carolyn, die in Manhattan lebt.

Ihren Freundinnen in Brooklyn, Sarah und auch Maude, die die Party ausgerichtet hatte, kann sich Amanda nicht anvertrauen.
Je mehr Lizzie recherchiert, um so undurchsichtiger wird der Mord. Wo ist das Motiv? Kann es nur der Ehemann gewesen sein, dessen Fingerabdrücke natürlich auf dem Golfschläger zu finden sind?
Um Zach aus dem Gefängnis zu holen, muss Lizzie andere Verdächtige finden. Das funktioniert nur, wenn Zach Geld locker macht. Seltsames Rechtssystem, dass der Beschuldigte seine Unschuld nachweisen muss. Jetzt stellt sich allerdings heraus, dass Zach pleite ist und Lizzie erfährt, dass der Vater von Amanda und auch Carolyn längst tot sind.
Hinzu kommt noch, dass Lizzie in den Sachen ihres Mannes Sam, dem sie nicht vertraut, einen Ohrring von Amanda findet. Außerdem werden die Eltern der Schulkinder per Cybermobbing erpresst.

Hinter den Fassaden der Schönen und Reichen lauert moralische Verkommenheit, der Hang zum Größenwahnsinn und die Oberflächlichkeit. Davon erzählt Kimberley McCreight absolut fesselnd und vor allem mit Liebe zum Detail, was ihre einzelnen Figuren angeht und die juristischen Gepflogenheiten in den USA, wie auch die polizeiliche Ermittlungsarbeit.