David Foenkinos: Die Frau im Musée d‘ Orsay, Aus dem Französischen von Christian Kolb, Penguin Verlag, München 2019, 236 Seiten, €20,00, 978-3-328-60086-2

„Um einen besseren Blick auf Jeanne Hébuterne zu haben, hatte Antoine, ohne Erlaubnis einzuholen, seinen Stuhl etwas verrückt.“

Antoine Duris, ein durchaus sympathischer, nicht von Eitelkeit freier Zeitgenosse, hat seine berufliche Karriere als Professor für moderne Künste in Lyon von einem Tag zum anderen beendet. Der Enddreißiger hat seine Arbeit aufgegeben, die Wohnung gekündigt und ist nach Paris gegangen. Hier sitzt er nun Tag für Tag als Museumswärter im Musée d‘ Orsay und beaufsichtigt die Bilder von Amedeo Modigliani, sein Platz ist genau vor dem Gemälde, dass Modiglianis Frau darstellt.
Dabei hat Antoine seine Doktorarbeit über den italienischen Zeichner, Maler und Bildhauer verfasst. Er hat durchaus mehr Kenntnisse als der Museumsführer, der die Besucher routiniert durch die Räume führt. Antoine kann sich einfach nicht zurückhalten und berichtigt den Museumsführer in seinem Vortrag. Ein Eklat. Die Personalchefin, Mathilde Mattel, kann sowieso nicht verstehen, warum Antoine Duris sich für diese in ihren Augen stupide Arbeit beworben hatte. Sie zitiert ihn in ihr Büro und verwarnt ihn. Antoine versucht verzweifelt, sich in einen Kokon einzuspinnen, er schirmt sich vor seiner Schwester ab, will mit den Kollegen keinen Kontakt und möchte sich nur auf sich und die Kunst, dieses eine Bild, konzentrieren.

Was steckt hinter Antoines Krise? Ist es die Trennung von Louise nach sieben Jahren, die ihn so tief verzweifeln lässt? Alles war bestens, die intensive Liebesphase war natürlich vorbei, aber die Beziehung zwischen Antoine und Louise plätscherte im stillen Fahrwasser so dahin. Als Louise für sich entdeckte, dass sie sich Antoine als den Vater ihrer Kinder nicht vorstellen kann, beendet sie die Partnerschaft. Für Antoine sicher eine Kränkung, aber sicher nicht so extrem einschneidend, dass er all seine Arbeit hinwirft. Im Gegenteil, Antoine arbeitet mehr als vorher, stürzt sich mit Sabine in ein nur auf den Sex reduziertes Verhältnis und beginnt, Louise und ihren neuen Freund zu stalken.
Nachdem Antoine zum zweiten Mal den Museumsführer im Musée d‘ Orsay korrigiert, muss er sich wieder bei Mathilde einfinden. Aber dieses Mal hat er es nur getan, um wieder mit ihr ins Gespräch zu kommen. Dass sich Antoine und Mathilde ohne große Worte zueinander hingezogen fühlen, spürten beide von Anfang an.
Mit Antoines Rauswurf entsteht der Entschluss, mit Mathilde nach Lyon zu fahren, um am Grab von Camille, einer extrem begabten Studentin, von Gewalt und der Kraft der Kunst zu erzählen.

Frauen, die Kunst, die Liebe, die Schuld – unendliche Themen, die David Foenkinos geschickt und psychologisch genau in seiner spannenden und exzellent geschriebenen Handlung verwebt.