Matthias Edvardsson: Die Bosheit, Aus dem Schwedischen von Annika Krummacher, Limes Verlag, Random House Verlagsgruppe, 448 Seiten, €16,00, 978-3-8090-2722-5

„Es brannte in mir. Ich hatte in der Nacht mehrere Stunden wach gelegen und darüber nachgedacht, wie ich mich rächen könnte. Ich musste für meine Rechte einstehen, die Sache war einfach nicht okay. Ich hatte Biancas überhebliche Miene und ihre Selbstgefälligkeit gründlich satt.“

Es ist ein heikler Balanceakt, wenn man in einem doch eher überschaubaren Ort mit seinen Nachbarn in Konflikte gerät. Geht man ihnen aus dem Weg? Eigentlich nicht möglich. Setzt man sich mit ihnen auseinander? Zieht man einfach weg? Finanziell sicher ein Problem.
Als sich Mikael und Bianca mit ihren zwei kleinen Kindern entscheiden, Stockholm zu verlassen, ahnen sie nicht, was auf sie zukommen könnte. Mikael hatte als Sportlehrer Probleme mit einem Schüler. Bianca steigert sich gern in ihre Ängste hinein und findet dann schwer einen Ausweg.
Die Familie findet in Schonen, in Köpinge, ein bezahlbares Häuschen. Natürlich googelt Bianca, die als Immobilienmaklerin arbeitet, erst mal ihre Nachbarn. Ola Nilsson wurde wegen schwerer Körperverletzung angezeigt. Seltsamerweise wird sie sich mit ihm bestens verstehen. Das ältere Ehepaar Gun-Britt und Åke scheinen harmlos, genau so wie Jaqueline und ihr fünfzehnjähriger Sohn Fabian. Alle wohnen in der Krachmacherstraße, da die Straßen im Viertel nach bekannten Astrid Lindgren – Büchern benannt wurden.

Mattias Edvardsson lässt seine drei Protagonisten, Mikael, Jaqueline und Fabian aus ihren Perspektiven vom Geschehen, das nichts mit Bullerbü zu tun hat, vor und nach Biancas Unfall erzählen. Der schwedische Autor gewährt den Lesern und Leserinnen zeitversetzt einen Einblick in die Nachbarschaftsprobleme, an deren Ende Biancas Tod stehen wird. Als sie nur schnell zum Supermarkt fahren will, wird sie vor ihrer Ausfahrt von Jaquelines neuem BMW in einer verkehrsberuhigten Zone angefahren. Zu Beginn der Handlung entwickelt sich alles ganz positiv. Die Nachbarschaft scheint angenehm zu sein und auch hilfreich. Mikael und Bianca renovieren ihr Haus, sie fühlen sich wohl und finden beide Arbeit. Doch dann steht Fabian einfach so am Morgen im Haus und will mit ihren Kindern William und Bella, beide sind fünf und acht Jahre alt, spielen. In einer Gegend, in der die Leute ihre Häuser nicht abschließen oder hohe Zäune um die Gärten ziehen, ist es schwierig die Nachbarn auf Distanz zu halten. Fabians kindliche Neugier, seine Anhänglichkeit, aber auch seine Ablehnung von Körperkontakt und Veränderungen signalisieren, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmen kann. Aber es gibt keine eindeutige Diagnose, die in Schweden offenbar ziemlich wichtig ist. Mikael wird in der Schule bemerken, wie schnell der Junge zum Mobbingopfer wird. Außerdem gab es Vorfälle, in denen er Mädchen zu nahe gekommen ist.
Bianca entwickelt nach und nach eine Aversion gegen den Jungen. Sie hat Angst, dass er Bella etwas antun könnte. Hinzu kommt natürlich auch, dass die attraktive, aber sehr labile Jaqueline, die einst als Model in den USA gearbeitet hat, offensichtlich ein Auge auf Mikael geworfen hat. Ihr unbeständiges Leben mit wechselnden Beziehungen, sie hat offenbar auch Olas Ehe zerstört, sorgt für viel Klatsch, den Gun-Britt gern verbreitet. Die nette Nachbarschaft entpuppt sich als Fiasko und die freundlich gemeinten Hoffeste als Qual. Doch wie kann man sich zurückziehen, ohne pausenloses Unbehagen zu verursachen? Und dann passieren auch noch Überfälle und Einbrüche in der doch so sicheren Gegend. Als würde das für Mikael und Bianca zurückkehren, wovor sie doch geflohen sind. Ob Bianca wirklich nur ein Unfallopfer wurde, bleibt bis kurz vor dem Ende in der Schwebe.

Feinsinnig und psychologisch genau beobachtet spinnt Mattias Edvardsson ein Netz von Abhängigkeiten, in das Mikael und Bianca hineintappen. Wo beginnt wirkliche Nähe, Anteilnahme und Hilfsbereitschaft, wo die Distanz und Gleichgültigkeit? Mikael wird in der Schule gebeten, dass er als Mentor sich um Fabian kümmern soll. Das führt unweigerlich dazu, dass er mehr Kontakt zu Jaqueline, die doch auch gern zum Alkohol greift, hat. Jaqueline absolviert ein Praktikum im Kindergarten. Mikael ist derjenige, der seine Tochter Bella abholt. Bianca möchte diese Nähe zu ihrer Nachbarin nicht haben, pflegt aber engen Umgang mit Ola, der sich als Feigling ohne Rückgrat entpuppt.
Keine dieser fiktiven ambivalenten Figuren kann die verheerende Entwicklung stoppen. Angst, Misstrauen und negative Erfahrungen bestimmen aller Leben und führen letztendlich zum Unglück.