Louise Penny: Der vermisste Weihnachtsgast – Der neunte Fall für Gamache, Aus dem kanadischen Englisch von Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck, Kampa Verlag, Zürich 2021, 563 Seiten, €18,90, 978-3-311-12030-8


„Er wusste, dass Three Pines nicht gegen furchtbare Verluste gefeit war. Gegen Kummer und Schmerz. Three Pines verfügte nicht über Immunität, sondern über die seltene Fähigkeit zu helfen. Und das war es, was ihm und den Brunels angeboten wurde. Raum und Zeit, um zu heilen. Und Trost.“

Alles beginnt mit einer imaginären Angst, die sich wie ein roter Faden durch die Handlung zieht. Audrey Villeneuve fährt in ihrem Auto zu einer Weihnachtsfeier. Sie wird auch wie das zweite Opfer in diesem absolut spannenden Roman nicht ankommen. In ihrer Vorstellung treten aus den Betonwänden des Tunnels, durch den sie fahren muss, grausige Ungeheuer. Diese Fantasiegebilde haben einen ganz realen Hintergrund, aber das klärt sich erst viele Seiten später auf. Obwohl Chief Inspector Armand Gamache nicht zuständig ist, übernimmt er den Fall, denn ihm ist bald klar, dass Audrey Villeneuve in ihrem gerade selbst geschneiderten grünen Cocktailkleid kaum von einer Brücke in den Selbstmord gesprungen ist.

Eine Stunde Autofahrt entfernt verabschiedet sich Constance Pineault von ihrer Freundin Myrna Landers, die in Three Pines einen Buchladen betreibt. ( Versierte Louise Penny Leser wissen, welche Leute in dem kleinen Dorf im Schatten der drei großen Bäume wohnen. ) Constance möchte gern zu den Weihnachtstagen zurückkehren. Leider werden ihre letzten Sätze beim Abschied kaum beachtet. Diese jedoch werden sie das Leben kosten.
Eigentlich heißt Constance mit Nachnamen Ouellet und diesen Namen kannte bis vor Jahren jeder Mensch in Kanada, denn mit diesem Namen verband sich das Leben der Fünflinge Ouellet. Geboren in der Wirtschaftskrise 1937 wirkten die fünf gleich aussehenden Mädchen wie ein kleines Wunder. Die eineiigen Mehrlinge überlebten, obwohl sie unter ärmlichsten Verhältnissen geboren wurden. Der Arzt Dr. Bernhard behauptete bei ihrer Geburt dabei gewesen zu sein, schrieb Bücher über die fünf Mädchen, deren Leben in ihrer Kindheit vor den Augen der Öffentlichkeit stattfand. Der Staat als Vormund nahm sich der Kinder an und vermarktete sie gnadenlos. Als Erwachsene suchten die Frauen nur noch die Stille und das Schweigen über die Vergangenheit. Zu ihren leiblichen Eltern konnten die Mädchen nie ein normales Verhältnis aufbauen. ( Louise Penny greift hier, sie berichtet davon im Nachwort, eine wahre Geschichte auf. ) Früh verstarb ein Mehrling, angeblich bei einem Sturz von der Treppe. Und nun wurde auch noch Constance, der letzte Fünfling, in der eigenen Wohnung erschlagen.
Parallel zu den beiden Fällen erfährt der Leser und die Leserin auch, dass Gamache in seiner Abteilung immer mehr Ärger mit seinem Vorgesetzten ausstehen muss. Sylvain Frankoeur untergräbt Gamaches Autorität, Jean-Guy Beauvoir hat sich auf Sylvain Frankoeurs Seite geschlagen und kann einfach seine Tablettensucht nicht in den Griff bekommen. Annie, Gamaches Tochter, hat sich von ihm getrennt. Gamache verdächtigt seinen Vorgesetzten nach wie vor und wirft ihm Machenschaften vor, die er zum Glück mit Hilfe seiner Kollegen, dem Ehepaar Brunel, beweisen kann. Bis in die höchsten Kreise reicht Sylvain Frankoeurs Einfluss und natürlich dreht sich auch alles wieder um den inhaftierten Arnot, den einstigen höchsten Polizeibeamten.
Alles hängt mit dem Tod von Audrey Villeneuve zusammen. Sie hat ein Beweisstück hinterlassen, dass sogar die kriminellen Handlungen des Premiers von Quebec, Georges Renard nachweist und Verbindungen zu Arnot und Frankoeur herstellt.

Wie immer passieren die entscheidenden Dinge in Three Pines und auch diesmal wird es so sein.
Am Ende geht alles gut aus und Gamache wird sich in den Ruhestand verabschieden, um in Three Pines ohne Handyempfang und Internetzugang mit seiner Frau Reine-Maria zu leben.
Ob ihn das vom Ermitteln abhält? Sicher nicht.