Marta Orriols: Der Moment zwischen den Zeiten, Aus dem Katalanischen von Ursula Bachhausen, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2020, 287 Seiten, €20,00, 978-3-423-28212-3

„Jeder dieser Momente wiegt schwer, und in der Summe ergibt sich das Ausmaß der Leere, die ich empfinde, wenn ich mich damit abzufinden versuche, dass ich schon vor seinem Tod in seinen Zukunftsplänen keine Rolle mehr spielte.“

Alles scheint gut zu sein zwischen Paula und Mauro, die sich schon zwölf Jahre kennen. Beide sind Anfang 40 und leben abgesichert in einem besseren Viertel in Barcelona. Sie arbeitet als Ärztin im Krankenhaus und kümmert sich speziell um die Frühchen und er beginnt, sich langsam als Verleger eines Kleinverlages einen Namen zu machen. Diese zwei vertrauten Menschen treffen sich in einem Café und nach ihrem Gespräch ist plötzlich alles anders. Er will sich trennen und sie fällt ahnungslos, vielleicht nicht ganz ahnungslos aus allen Wolken. Doch das Vorher und Nachher, in das Paula ihr Leben nun einteilt, wird nicht vom Treffen im Café abhängen, sondern von wenigen Minuten danach. Mauro wird nach der Verabschiedung von Paula aufs Fahrrad steigen, angefahren und im Krankenhaus sterben.

Marta Orriols verfolgt nun Paulas Leben ein Jahr lang und lässt ihre Hauptfigur aus der Ich-Perspektive erzählen. Tief ist das seelische Loch, in das sie fällt. Wie kommt Paula mit ihrer Wut auf Mauro klar, wenn er sich einfach tragischerweise davon gemacht hat? Wie erträgt man den Vertrauensbruch und die Kränkung? Paula arbeitet so viel, dass ihr Chef sich nicht mehr zurückhalten kann und ihr die Grenzen, auch in ihrem Beruf aufzeigen muss. Paula versucht sich abzulenken und erinnert sich an ihre Kindheit. Die Mutter verstarb, da war sie acht Jahre alt. Zu ihrem Vater hat Paula eine enge Beziehung, doch sie bringt es nicht über sich, ihm zu erzählen, dass sein „Schwiegersohn“ sich bald auch aus seinem Leben entfernt hätte. Paula wollte nicht heiraten. Und obwohl sie mit Babys täglich zu tun hat, glaubte sie, ihr Mutterinstinkt sei nicht ausgeprägt. Auf dem Weg zum letzten Treffen mit Mauro hatte sie sogar vor, ihm zu sagen, dass sie doch ein Kind haben sollten. Er wollte immer Vater werden. Mit der neuen Freundin, der bildschönen und sehr jungen Carla wäre dieser Wunsch sicher in Erfüllung gegangen.
Immer wieder liest Paula, eine Marter, die SMS – Nachrichten von Carla und Mauro. Und sie wird Carla sogar treffen. Vielleicht ein Fehler?

Zwischen Arbeit, Schlaflosigkeit, Auseinandersetzungen mit ihrem Chef, einem One-Night-Stand mit einem Kollegen und einer kurzen Beziehung zu Quim, den sie auf dem Flughafen in Amsterdam kennengelernt hat und der auch in Boston lebt, schleppt sich das Jahr dahin. Immer wieder durchdenkt Paula ihre Zeit mit Mauro und erinnert nur die guten Momente.
Sie ist im Gespräch mit ihrer Jugendfreundin und Kinderärztin Lídia, die mit Mann und Kindern glücklich lebt. Sie isst am Sonntag bei ihrem Vater und erinnert immer noch alle Vogelnamen, die sie bei Ausflügen mit ihrem Vater, der nach dem Tod der Mutter zum Hobbyornithologen wurde, gelernt hat.

Marta Orriols versetzt sich in ihre Protagonistin hinein und zieht den Leser dicht ins Alltagsleben und somit auch in die Lebenskrise Paulas hinein. Dabei geht es nicht nur um Trauer. Paula, die durch ihren Beruf immer im Kontakt mit dem Tod ist, bangt um ihr Frühchen namens Mahavir. Um ihn kämpft sie, mit ihm bangt sie und ihn kann sie am Ende der Geschichte an die Eltern übergeben, die überglücklich sind den Sohn in den Armen zu halten.

Wie schwer ist es, um einen Toten zu trauern, der sich bereits innerlich Monate vorher abgewandt hatte, der eine andere Frau heiraten wollte. Der Hochzeitstermin stand schon fest.
Jeder trauert sicher auf seine Weise und doch folgt man Marta Orriols Hauptfigur sehr gern durch die Tage und Nächte. Das liegt sicher an ihrer intelligenten, wie klaren Sprache und der Art und Weise, wie Paula über sich mal schonungslos unsentimental und dann auch wieder völlig am Boden liegend erzählt.