Charlotte Link: Einsame Nacht, Blanvalet Verlag, München 2022, 592 Seiten, €25,00, 978-3-7645-0814-2

„Kate wusste, dass Menschen über nichts in ihrem Leben den Schleier des Verdeckens so sorgfältig bereiteten wie über den Zustand der Einsamkeit. Eher bekannte man sich zu seinem Fußpilz als zu seiner Einsamkeit. Nur Loser waren einsam. Es war idiotisch, aber es schien sich nicht ändern zu lassen.“

Alles beginnt mit dem sechzehnjährigen Alvin Malory, der einsam und allein in seinem Haus sitzt und sich mit Essen vollstopft. Wie oft hat er sich nun vorgenommen, sein Gewicht zu reduzieren. Sinnlos. Immer wieder gibt es Anlässe, die qualvolle Diät aufzugeben. Lieblos schaut sein Vater auf den fettleibigen Sohn herab und quält ihn mit Worten. Nur die Mutter stärkt dem Jungen den Rücken und gibt nicht auf. Gerade im Sommer ist die Einsamkeit so schrecklich, denn alle sind am See oder Schwimmbad und niemand interessiert sich für Alvin. Doch dann klingelt es an der Tür. Ein Nachbar wird den Jungen finden und die Ambulanz rufen. Alvin ist dermaßen geschlagen worden, dass er nun seit über zehn Jahren im Wachkoma liegt und nur seine Mutter auf ein Lebenszeichen hofft.

Einsam ist auch Detective Sergeant Kate Linville in ihrer Wohnung mit Kätzchen Messy im Örtchen Scarborough. Besonders in der Vorweihnachtszeit schmerzt die Vierundvierzigjährige das Gefühl, keine eigene Familie zu haben.
Auch die neue Chefin der North Yorkshire Police, Pamela Graybourne aus Manchester, die nun den ehemaligen Ermittler Caleb Hale ablöst, stürzt sich mit Energie in die Arbeit.
Einsam und allein lebend war auch das Mordopfer. Die attraktive Diane Bristow aus Harwood Dale wurde mit 18 Messerstichen gerichtet. Den mutmaßlichen Täter hat Anna Carter gesehen, denn beide Frauen kennen sich aus dem gemeinsamen Kochkurs in einer Partnervermittlung. Anna leitet den Kurs und Diana war auf dem Weg nach Hause, als sie aus dem Auto heraus sehen konnte, dass ein großer Mann ziemlich aggressiv in Dianas Auto gestiegen ist. Doch Anna ist eine sehr ängstliche und vorsichtige Person, die irgendwie immer die falschen Entscheidungen trifft. Ihr Freund, Samuel Harris, kennt Annas Unentschlossenheit, denn sie kann sich nicht dazu durchringen mit ihm zusammen zu ziehen. Auch Kate entscheidet sich, die Partnervermittlung auszuprobieren. Zu diesem Zeitpunkt ahnt sie aber nicht, dass sie hier bald ermitteln wird.

Parallel zum Kriminalfall verfolgen die Lesenden den persönlichen Aufzeichnungen eines Menschen, der durch seine Fettsucht von der Gesellschaft ausgegrenzt wird. Von der Familie kaum unterstützt und auch nicht wahrgenommen greift diese Person als Rache für die Demütigungen zu drastischen Mitteln, um sich zu wehren. Einerseits bedauert man sie, fühlt mit, wenn sie sich einem Mädchen zuwendet, andererseits ist man über ihre Distanzlosigkeit und Gewalttätigkeit entsetzt.
Und noch ein einsamer Mensch, der leider auch getötet wurde. Mila Henderson, eine junge Frau, sollte sich um die alte Dame kümmern. Als ihre Tochter die Mutter tot in der Wohnung findet, beginnt die Suche nach Mila, die offenbar auf der Flucht ist.
Nach und nach stellt sich heraus, dass alle Personen, die mit Diana zu tun hatten, der des Mordes Verdächtige, der ebenfalls getötet wird und auch Mila einst Kontakt zu Alvin hatten.

Mit der Einsamkeit einher geht dann auch noch die Beziehungsunfähigkeit und da kommt Kate, die Ermittlerin wieder ins Spiel. Sie und Caleb, der jetzt als Kellner arbeitet, kommen sich langsam näher, denn der Fall interessiert den ehemaligen Polizisten. Ja, schwierig mit den beiden.

Charlotte Links psychologisch genau durchdachte Krimi liest sich absolut spannend und ist gut konstruiert, denn der Plot führt die Lesenden in völlig falsche Richtungen. Natürlich steht auch wieder die akribische Polizeiarbeit im Mittelpunkt, die Analyse und die Beharrlichkeit jedem noch so kleinen Hinweis nachzugehen.

Wer der Psychopath dann letztendlich ist, bleibt bis zum Ende ein absolutes Rätsel auch für krimigeschulte Vielleser.