Håkan Nesser: Barbarotti und der schwermütige Busfahrer, Aus dem Schwedischen von Paul Berf, btb Verlag in der Verlagsgruppe Randomhouse, München 2020, Seiten, €22,00, 978-3-442-75887-6

„Dieser Radfahrer sah einem gewissen Albin Runge ähnlich, der seit fünfeinhalb Jahren tot war …
nein, von dem man annahm, dass er so lange tot war, weil man ihn mutmaßlich von einer Finnlandfähre ins Meer geworfen hatte.“

Als Albin Runge der Kommissarin Eva Backman von den Drohbriefen erzählt, wird sie das Gefühl nicht los, dass mit diesem schmalen, niedergedrückten Mann etwas nicht stimmen kann.
Er hat eine harte Zeit hinter sich. Als arbeitsloser Akademiker hatte er zum Busfahrer umgeschult den Tod von siebzehn Jugendlichen und einem Erwachsenen verschuldet. In der Winterzeit ist sein Bus vor fünf Jahren ins Schlingern geraten und der Unfall war unausweichlich. Ein Gericht hatte ihn freigesprochen und doch bleibt die Schuld. Seine erste Frau hat sich von ihm getrennt, er war bei verschiedenen Therapeuten. Doch warum schreiben ihm nun nach so langer Zeit, er vermutet Eltern der Jugendlichen, diese Briefe? Die Unterschrift lautet Nemesis. Zwei Anrufe werden folgen, in denen Runge bedroht wird. Eva Backman zieht Gunnar Barbarotti, ihren Kollegen und mittlerweile auch Geliebten, zum Fall dazu. Die Ermittler scheuen sich, in Kontakt mit den Eltern der Jugendlichen zu treten. Zumal sie nicht verstehen, warum jemand nach fünf Jahren nun auf Rache aus ist.

Håkan Nesser lässt sich bei der Entwicklung seiner Handlungsverläufe Zeit und verschont den Leser mit routinemäßiger Polizeiarbeit. Stilistisch und literarisch anspruchsvoll verfolgt er im Zeitwechsel zwischen 2012 bis 2018 das Geschehen, er verweilt beim schwermütigen Busfahrer, der reich geerbt und wieder geheiratet hat und in der Zeit danach,  offensichtlich wie angekündigt getötet wird. Ein weiteres Thema ist Barbarottis Privatleben. Seine Kinder bitten ihn, endlich mal Eva nicht nur durch die Hintertür hereinzulassen, sondern zu dieser Beziehung zu stehen. Und er lässt seinen Lieblingsermittler wiedermal mit Gott sprechen.
Als Eva bei einem ganz normalen Einsatz einen Jugendlichen beim Anzünden von Autos erschießt, wird erneut die Schuldfrage gestellt. Zwar zielte sie auf die Beine, aber in dem Moment warf der Täter die brennende Fackel unter ein Auto, in dem zwei Leute saßen.

Eva und Barbarotti werden suspendiert und entscheiden sich zu einer Auszeit auf der Insel Gotland.
Es ist Herbst und ein Kollege vermietet ihnen das Sommerhaus in einem kleinen Ort. Doch kaum angekommen, fällt Barbarotti ein schmaler Mann auf einem roten Fahrrad auf. Er glaubt, dass das Albin Runge ist. Als Runge erneut Drohbriefe erhielt und sein Todestag bereits festgesetzt war, wurde er von der Polizei rund um die Uhr bewacht. Allerdings nutzte Runge und seine Frau Karin ein Schlupfloch, um sich auf die Finnlandfähre abzusetzen. Dort ist er spurlos verschwunden. Wurde er von Bord geworfen? Wer war noch auf der Fähre? Trotz akribischer Polizeiarbeit konnte auch ohne Leiche niemand ermittelt werden.
Parallel zu Backmans und Barbarottis Recherchen zeichnet auch Albin Runge seine Erinnerungen auf. Ob diese jedoch der Wahrheit entsprechen, wird sich erst im Verlauf der Handlung herausstellen.
Eva zweifelt an der Wiederkehr des seltsamen Albin Runge auf Gotland, aber Barbarotti beißt sich trotz Zeit für Entspannung, Eva wurde von der Internen freigesprochen, an dem Fall fest. Er kann einfach nicht anders.

Håkan Nesser schreibt nie einen Whodunit – Krimi. Seine Geschichten sind viel intelligenter und psychologisch verzwickter konzipiert. Wie lebt man, wenn man auch unverschuldet Schuld auf sich geladen hat? Eva Backman muss damit fertig werden und Albin Runge ebenso. Und Nesser gibt dem Leser die Chance selbst herauszufinden, wo die Fallen lauern, die die Kommissare dann jedoch selbst entdecken.

Spannend und wie immer sehr empfehlenswert!