Antoine Wilson: First Class, Aus dem Amerikanischen von Eva Regul, Kein & Aber Verlag, Zürich 2023, 256 Seiten, €18,99, 978-3-0369-5002-0

„Wenn es ihm gelang, sein Geheimnis bis in alle Ewigkeit für sich zu behalten, dann könnte er dieses neue Leben vielleicht sogar ganz anders sehen, nicht als Belohnung – er weigerte sich, es so zu interpretieren, das hätte ihn zu sehr fertiggemacht -, sondern einfach als eine Kette von Ereignissen, die aus seiner Entscheidung gefolgt waren – … aus seiner noblen Entscheidung, einem Fremden in einer Notsituation zu Hilfe zu eilen.“

Der namenlose Ich – Erzähler trifft auf dem Flughafen JFK in New York einen eher entfernten Bekannten aus seiner Zeit im College. In gewisser Weise ging von Jeff Cook bereits vor zwanzig Jahren eine bestimmte Faszination aus, an die sich der Ich – Erzähler gut erinnern kann. Der immer noch attraktive und teuer gekleidete Fünfundvierzigjährige nimmt nun den Ich-Erzähler, der Romane schreibt, in die First Class Lounge mit, denn ein Vulkan, dessen Namen niemand aussprechen kann, ist ausgebrochen und verzögert den Abflug. Jeff beginnt auf die lapidaren Fragen, die man so im Small Talk austauscht, plötzlich ganz ernsthaft aus den Erinnerungen heraus die Geschichte seines Lebens zu erzählen. Angeblich ist der Ich-Erzähler die erste Person, die diese hört.

Ist man als Lesender am Ende des Romans angelangt, dann ahnt man, dass die Erinnerungen von Jeff oder gar die detailgenaue Erzählung vielleicht ganz anders verlaufen ist. Möglich auch, dass Jeff dem für ihn fremden, einstigen Collegestudenten auch die Geschichte erzählt hat, die er für sich selbst angenommen hat. Sie ist also mit Vorsicht zu genießen!

Nach einer enttäuschenden Liebesgeschichte begibt sich Jeff an den Strand von Santa Monica und hat kein Wahl, denn er sieht einen Menschen im Wasser und ahnt, dass dieser Hilfe benötigt. Jeff zieht Francis Arsenault an Land, ruft um Hilfe, versucht ihn wiederzubeleben und überlässt dann alles dem ankommenden Sanitäter. Nur ein kurzer Blick von Francis trifft Jeff. Nach dieser ungewöhnlichen Rettungsaktion sucht Jeff die Nähe von Francis Arsenault, ohne ihm zu offenbaren, dass er sein Lebensretter ist. Francis Arsenault hat eine Frau, die einst Künstlerin war, eine erwachsene Tochter und er betreibt durch sein Erbe eine gut gehende Galerie in Los Angeles.

Fraglich bleibt, was Jeff dazu bewegt, einem Stalker gleich, Francis auf Schritt und Tritt zu folgen. Möchte er eine Belohnung? Will er wissen, was Francis für ein Mensch ist, dessen Leben er nun so selbstlos verlängert hat? Als sich die Gelegenheit bietet, nimmt Jeff ohne jegliche Kenntnis über moderne Kunst oder gar den Galeriebetrieb die Stelle eines Assistenten an. Mit seinem angenehmen Äußeren kann er für sich punkten und er lernt schnell. Jeff rückt durch die Arbeit und die ungewöhnliche Tatsache, dass Francis Tochter Chloe sich für Jeff interessiert, immer näher an Francis heran. Dass dieser ein tyrannischer wie launischer Galerieleiter ist, der vor allem ein gutes Auge für angesagte Kunst und Künstler hat, aber auch den finanziellen Bereich des Kunstmarktes beherrscht und Käufer wie Käuferinnen hofiert, fasziniert Jeff zu Beginn mehr, als dass es ihn allzu verunsichert. Mit Chloe an seiner Seite jedoch schaut er auch in Francis Privatleben. Je mehr Jeff von der Kunstwelt und deren Vermarktung erfährt, um so klarer wird ihm, dass Francis nicht nur seriösen Geschäften nachgeht.

Interessant ist natürlich, dass auch Jeff aktuell erfolgreich drei Galerien in Chelsea, London und Berlin betreibt.

Immer wieder fragt sich Jeff, ob Francis nicht längst weiß, wer er ist. Und wenn er es ihm sagen würde, ob er dann nicht, nachdem er seinen Chef nun besser kennt, nicht doch hochkant hinausgeworfen wird. Im Laufe der Zeit wird auch klar, dass Francis‘ Verhalten unberechenbar ist.

Von seinem Schwimmunfall hat er zum Beispiel niemandem erzählt.

Als Francis dann mit der Familie, nach einem heftigen Streit und der Aufdeckung seiner Affäre, in die Skiferien nach Frankreich reist, eskaliert die Handlung. Am Ende wird Francis erneut ein zweites Nahtoderlebnis mit tragischem Ende einholen. Doch was ist wirklich zwischen Jeff und Francis in diesem Urlaub geschehen?

Spannend liest sich dieser außergewöhnliche Lebensbericht, der wahrscheinlich nur offenbart wurde, weil der Zuhörende ein Autor ist.

Antoine Wilson jedoch lässt nie durchblicken, was nun eigentlich Lüge, Wahrheit oder gar Dichtung ist. Der amerikanische Autor nimmt jeden, der dieses Buch aufschlägt sofort durch seinen Erzählstil gefangen, denn er ist elegant und hintergründig, so wie die Geschichte von einem Aufsteiger, dem nur der Zufall und sein Mut geholfen haben, oder doch etwas anderes?

Absolut packend!