Alice Feeney: Flutnacht – Eine Familie. Eine Nacht. Ein tödliches Geheimnis., Aus dem Englischen von Anke Kreutzer, Heyne Verlag, München 2024, 432 Seiten, €12,00, 978-3-453-42871-3

„Noch vor einem Moment glaubte ich, meine ganze Familie wäre tot.
Doch nun sitzt ein Mitglied dort am Tisch und lächelt mir entgegen.
Und wieder habe ich das Gefühl, als ob ich falle.“

Alle Familien haben sie ihre Geheimnisse, doch Daisy Darkers Eltern und Schwestern hüten eine Tat, die unverzeihlich ist. Als Ich-Erzählerin berichtet Daisy Darkers, nun angeblich neunundzwanzig Jahre alt, von der Geburtstagsfeier ihrer geliebten Großmutter Nana. Die sehr berühmte, wie äußerst wohlhabende Kinderbuchautorin lebt auf einer einsamen Insel im ziemlich heruntergekommenen Haus Seaglass an der Küste von Cornwall und hat ausgerechnet am 31. Oktober ihren 80. Ehrentag. Natürlich will sie alle Familienmitglieder sehen und bereits im Voraus ihr Testament verlesen. Mit einem Kinderbuch – Weltbestseller hatte sie ihren ersten Erfolg, weitere Bücher folgten. Ihr absoluter Liebling in der Familie ist Daisy, die unter einem Herzfehler leidet und der kein langes Leben vorausgesagt wurde. Heute geht die junge Frau ehrenamtlich in Altenheime. Heimlich fragen sich natürlich die Lesenden, wovon Daisy eigentlich lebt, da sie wohl nie einen Beruf erlernt hat. Auch ihre Schwester Lily, die mit ihrer fünfzehnjährigen Tochter Trixie anreist, hat kein eigenes Einkommen. Die älteste Schwester Rose arbeitet als Tierärztin mit nicht gerade gutgehender Praxis. Auch die geschiedenen Eltern sind immer in Geldnöten. Frank als Sohn von Nana und Dirigent eines Orchesters glänzt durch ständige Abwesenheit und finanzielle Engpässe und Nancy, die Mutter der drei Mädchen, eine verkappte Schauspielerin und dem Alkohol zu sehr zugewandt, hat kaum Geld.
Erbarmungslos berichtet Daisy nun von ihrer lieblosen Familie, die sie kaum beachtet und nie so richtig mit ihr spricht. Als letzte Person taucht Conor Kennedy auf, heute ein bekannter Journalist, und früher ein Spielgefährte der Mädchen, der von Nana mit neun Jahren aufgenommen wurde, da sein Vater als Alkoholiker ihn oft schlug. Nach der Testamentseröffnung, die für alle nur ein Desaster darstellt, allein Trixie wird Seaglass erben, geschieht um Mitternacht an Halloween der erste Mord. Jemand hat Nana erbarmungslos erschlagen. Da Conor mit einem Boot gekommen ist, hoffen alle, man könnte trotz Sturm Hilfe holen. Doch das Boot hat wohl jemand abtreiben lassen. Einem Horrorschocker gleich verliert nun im Stundentakt ein Familienmitglied nach dem anderen sein Leben. Zwischendurch erinnert sich Daisy an all ihre Qualen, die sie durch ihre Schwestern und die Eltern erleiden musste. Alte Videokassetten mit Familienepisoden werden gezeigt und sprachlich seltsam holprige Gedichte über jedes Familienmitglied tauchen wie von Geisterhand geschrieben auf. Ist Lily die boshafteste von den Schwester, die keine Gelegenheit ausgelassen hat, Daisy zu schaden, so steht ihr Rose darin nicht nach. Nancy war eine kaltherzige Mutter und Frank ein abwesender Vater, der nur an sich gedacht hat. Nicht mal Conor kommt gut weg.

Dass diese dysfunktionale wie traurige Familie ein grausiges Geheimnis hütet, dass am Ende der oft retardierenden Handlung aufgelöst wird, lohnt das Lesen bis zum bitteren Ende.
Wer Halloween – Grusel mag, der ist mit diesem Thriller gut bedient.