Susanne Mischke: Alle sehen dich, Piper Verlag, München 2023, 352 Seiten, €16,00, 978-3-492-06372-2

„Frau Engelhorst scheint guter Laune zu sein, und damit es zumindest noch für kurze Zeit so bleibt, zeigt sich auch der Hauptkommissar von seiner charmanten Seite.“

Es ist nun der zwölfte Roman mit den Ermittlern aus Hannover, die auch mal zum Fahrrad greifen, um vermeintliche Tatorte zu besichtigen. Hauptkommissar Bodo Völxen umgibt sich wie immer mit seinem Stammpersonal, allerdings wird zumindest für ein Sabbatjahr Oda Kristensen ausscheiden, was Völxen ganz besonders schmerzt. Joris Tadden, ein großgewachsener, junger und auch gut aussehender Friese wird eingestellt und scheint mit seiner Ruhe und Beharrlichkeit, alle anderen etwas zu nerven.

Susanne Mischke springt in ihrer Handlung im Frühjahr 2022 vom April in den Februar und sie wird im Laufe der Geschichte auch zwanzig Jahre in die Vergangenheit zurückgehen. Immer wieder fließen aktuelle Themen mit ein, so der Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine, was Ermittlerin Elena Rifkin besonders berührt und auch die Corona-Zeit hat ihre Spuren hinterlassen.

Alles beginnt mit einem bedrückenden Video in einem Blog von der bei Frauen offenbar allseits geschätzten Charlotte Engelhorst. Ihre Beiträge in „Über den Gartenzaun“ beschränken sich nicht nur auf Blumen, Beete oder Kochrezepte, sie erzählt auch direkt vor der Kamera und ungeschönt von ihren privaten Problemen, immerhin einer konfliktreichen Scheidung von einem Banker als Charlotte Ende Fünfzig war. Ausgetauscht wird die sehr resolute und auch arrogant, wie fordernd wirkende Frau, die sich für eine öffentliche Person hält, durch eine bedeutend jüngere. Nach ihrem Kauf eines Häuschens in der Wedemark und ihrer steilen Karriere als doch ziemlich betagte, aber erfolgreiche Werbeträgerin und Influencerin sitzt sie nun vor der Kamera und wird offensichtlich einer Tat in der Vergangenheit beschuldigt und zugleich heftig bedroht. Natürlich finden sich auch auf Charlottes Vlog so einige unschöne Kommentare, aber damit schien sie leben zu können.

Bereits zwei Monate zuvor hatte Charlotte die Polizei auf den mysteriösen Unfall ihres Ex-Mannes hingewiesen. Laut Untersuchungen ist Joachim Engelhorst in der Nacht von der glatten Fahrbahn im Februar abgekommen und gegen einen Baum geknallt. Todesursache: Herzinfakt. Auch der nächste Todesfall führt dazu, dass Charlotte Völxen auf den Geist geht. Die unerträgliche Brigitte Wendel ist angeblich eine nahe Freundin von Charlotte, einst Mitarbeiterin im Jugendamt, später im Ordnungsamt und nun Rentnerin. Sie fällt, obwohl sie die Fenster immer putzen lässt, aus denselben in den Tod.

Langsam beginnen die Polizisten bei ihren Ermittlungen Querverbindungen herzustellen und Oda, die zu dem Fall aus Frankreich, ihrem neuen Domizil, zugeschaltet wird, erzählt von ihrer ersten Begegnung 2002 mit Charlotte Engelhorst und Brigitte Wendel, die damals noch im Jugendamt tätig war. Bei den Engelhorsts wurde eingebrochen und das, wie sich später herausstellte, achtzehnjährige Pflegekind Emine war wie vom Erdboden verschwunden. Joachim Engelhorst wurde schwer verletzt. Schon damals hinterließ dieser Fall viele Fragen, die aber nie geklärt wurden.

Wie immer koordiniert Bruno Völxen den Fall, er hält seinen Kopf für seinen unmöglichen Ermittler Erwin Raukel hin und die Lesenden erfahren so einiges über die privaten Probleme der Ermittler rund um Völxen und seinen Bürohund Oscar. Der neue Kollege ist ein fokussierter Arbeiter und über kurz oder lang wird auch er eine Wohnung finden. Immerhin möchte Ermittler Fernando Rodriguez, hinter seinem Rücken das „spanischen Weichei“ genannt, dass Tadden nicht mehr in seinem Jugendzimmer nächtigt.

Wie bei vielen geliebten Krimireihen treten die Fälle nach und nach ins Hintertreffen und das Personal mit all seinen menschlichen Macken in den Vordergrund. Ärgerlich ist nur, dass Hannover und die illustre ländliche Umgebung nicht so anziehend ist wie Venedig oder Paris.