Christoffer Carlsson: Wenn die Nacht endet, Aus dem Schwedischen von Ulla Ackermann, Kindler Verlag, Hamburg 2024, 464 Seiten, €24,00, 978-3-463-00061-9

„Skavböke, Dezember 1999 / Ein Auto in der Morgendämmerung, ein offen stehender Kofferraum. Ein groß gewachsener blonder Achtzehnjähriger mit Geheimnissen im Herzen. Eine dritte Fußspur; ein Zeuge, der sich nicht zu erkennen gegeben hatte. Weshalb nicht? Ein Abgrund. Mehr als zwanzig Jahre später ein ermordeter kleiner Bruder.“

Alles beginnt mit einer Party im Einfamilienhaus von Pierre Bäck im kleinen Ort Skavböke in Halland kurz vor der Jahrtausendwende. Wie immer trinken die Siebzehn – und Achtzehnjährigen viel zu viel Alkohol, verdrücken sich in Pärchen in die obere Etage und streiten sich. Genau an diesem Abend geraten Jakob Lindell und Mikael Söderström aneinander. Mikael ist der Sohn des wohl reichsten Mannes im Ort und Jakob hatte erzählt, dass sein Vater sein ganzes Bargeld aus Angst vor dem Zusammenbruch 2000 aller Technik abgehoben habe. Die Jugendlichen kennen sich von klein an und so ist der Streit auch schnell vergessen. Am Ende der Party torkeln Sander, Killian, Filip, Jakob und die anderen in die Winternacht hinaus und jeder hofft, unbemerkt von den Eltern im eigenen Zimmer verschwinden zu können. Als dann jedoch am nächsten Tag die junge Polizistin Siri Bengtsson bei Sander Eriksson vor der Tür steht, ahnt dieser kaum, dass sein Kumpel Mikael erschlagen im Kofferraum eines Autos gefunden wurde. Jemand hatte das Auto von Madeleine Grenberg, ihre Tochter ist die attraktive Felicia, die nicht nur Sander gefällt, gestohlen und an den Baum gefahren.
Christoffer Carlsson lässt nun die Polizistin Siri und ihre ältere Kollegin Gerd Pettersson die Jugendlichen von der Party befragen. Wie ganz nebenbei fließen in die Handlung immer wieder Gedanken zu gerade diesem speziellen Zeitabschnitt Ende 1999 Anfang 2000 ein.

„Vieles habe sich verändert, sagten die Eltern, an manchen Tagen kenne man sich kaum noch aus. Es herrsche keine Klarheit mehr darüber, was es hieß, in Schweden zu leben, was es hieß, schwedisch zu sein. Die weite Welt hatte Einzug gehalten, es war überall zu spüren…. Das Kapital bewegte sich schneller denn je, und wohin es auch ging, es ließ Ruinen zurück.“

Auffällig ist das geschundene Gesicht von Killian, der behauptet, dass er auf dem Nachhauseweg gefallen sei. Die sehr ungleichen, absolut treuen Freunde Killian und Sander pflegen eine sehr enge Freundschaft, dabei weiß Killian, der längst nicht die guten Schulnoten hat wie sein Freunde, dass dieser unbedingt nach Stockholm an die Universität gehen will. Nach all den Befragungen zweifeln die Ermittlerinnen Siri und Gerd an den Aussagen der Jugendlichen. Doch sie haben keine Möglichkeit, z.B. eine Blutprobe von Killian zu fordern. Inzwischen ist Mikaels Vater, der für seine Ausraster bekannt ist, mit dem Gewehr unterwegs, um Schuldige auszumachen. Die Kumpel von Mikael wissen allerdings auch, dass es zwischen Vater und Sohn immer Spannungen gab. Bei der Suche nach dem Motiv, inzwischen hat sich auch herausgestellt, dass jemand das abgehobene Geld von Jakobs Vater gestohlen hat, tappen die Polizisten im Dunkeln. Als sie sich dann doch auf unlautere Art eine Blutprobe von Killian besorgen, flieht dieser mit der Schrottkarre seiner Mutter und baut einen Autounfall, bei dem er im Wrack des Autos verbrennt. Es stellt sich heraus, dass er in der Partynacht am Steuer des Autos saß. Doch nun sind die Einwohner von Skavböke geschockt. Wieder beerdigen sie einen Jugendlichen. Und es soll noch ein Unglück geben. Im Keller von Mikaels Vater lag Dynamit. Dieses wurde gezündet und löste einen gewaltigen Erdrutsch aus, bei dem das Gut der Söderströms verschüttet wurde.
Mit beachtlichem Einfühlungsvermögen umkreist Christoffer Carlsson seine vielschichtigen Figuren und durchdringt die dramatische Handlung mit Tiefe und Verästelungen. Denn natürlich verschweigen die Jugendlichen vieles, was erst zwanzig Jahre später zum Vorschein kommt. Doch zu diesem Zeitpunkt hat Siri bereits ihren Polizeidienst quittiert, Gerd ist in Pension und es übernimmt Vidar Jörensson. Denn ein weiterer Mord erschüttert die kleine Gemeinde. Der Bruder von Mikael Filip, der den Verlust des Bruders und den Untergang seiner Familie nicht verkraftet hatte, wurde nach der Beerdigung von Killians Vater Sten erschlagen aufgefunden. Auch dieser Mord, so vermuten die Ermitter, muss mit den Geschehnissen in der Partynacht vor der Jahrtausendwende zu tun haben. Wen hat Filip in der Kirche gesehen? Und warum hatten sich die engen Freunde Sander und Killian damals kurz vor Killians Tod so zerstritten?
Christoffer Carlsson hat einen psychologisch wie sprachlich interessanten Roman, der mit dem Schwedischen Krimipreis 2023 ausgezeichnet wurde, geschrieben, in dem die Polizeiarbeit kaum im Vordergrund steht, sondern eher die konfliktreichen Konstellationen zwischen den Jugendlichen und ihren Eltern. An der Schwelle zum Erwachsenwerden spüren sie die Verunsicherungen und wissen doch, dass ihre Möglichkeiten begrenzt sind.