Petros Markaris: Verschwörung – Ein Fall für Kostas Charitos, Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger, Diogenes Verlag, Zürich 2022, 280 Seiten, €25,00, 978-3-257-07212-9

„Beim ersten Selbstmord hatten wir Glück, dass sich der Protest in Grenzen hielt. Diesmal können wir froh sein, den Abschiedsbrief rechtzeitig sichergestellt zu haben. Doch wer garantiert uns, dass diese Glückssträhne anhält?“

Mit dem sympathischen Kommissar Kosta Charitos, seiner kleinen Familie und seinen Kollegen haben die Lesenden bereits die schwere Finanzkrise in Griechenland durchlebt. Als Ich-Erzähler ist Charitos ein aufmerksamer Beobachter und Petros Markaris lässt ihn auch zeitlich chronologisch nah am Geschehen im Präsens berichten. Immer am Puls der Zeit versucht der fünfundachtzigjährige Autor, in seinen Krimis, die in Athen spielen, die gesellschaftlichen Konflikte zu spiegeln. Und nun widmet sich Makaris der Pandemie, die wir in diesem Sommer 2022 immer noch nicht los sind und doch ahnen, dass im kommenden Herbst eine erneute Impfung und das Maskentragen wieder beginnen könnte.
Bei der Polizei herrscht mitten in der Corona – Krise jedenfalls Flaute, denn es scheint so zu sein, als hätten die Kriminellen während des Lockdowns wenig Lust zum Arbeiten. Kostas Charitos macht sich große Sorgen um die Familie, denn der Alltagsstress scheint alle an den Rand des Erträglichen zu bringen. Schwiegersohn Fanis arbeitet gefühlt rund um die Uhr als Arzt im Krankenhaus, Tochter Katerina bangt um ihre Kanzlei und braucht unbedingt Einnahmen und Enkelkind Lambros bekommt mit seinen zwei Jahren einen Wohnungskoller. Nur seine Frau Adriani steht wieder wie ein Fels in der Brandung, sie kümmert sich um den Enkelsohn, kocht für alle, versucht, die Streitereien zu beenden und trotz Ausgangssperre hält sie den Kontakt zu alten Freunden und Freundinnen.
Die Angst vor dem Virus führt zu Entlassungen und dem unheimlichen Gefühl, sich irgendwie erneut ins Schicksal fügen zu müssen. Die permanente Präsenz von sogenannten Experten nervt sogar den Kommissar, der lieber mit seinem Enkel spielt als Nachrichten sieht.
Als in Athen dann eine Reihe von Selbstmorden publik wird, kann Charitos nicht still bleiben. Der erste Selbstmörder ist Dimos Begleris, ein Mann, der mit seinen über neunzig Jahren sehr viel erlebt hat. Über die sozialen Medien gelangt sein Abschiedsbrief an die Öffentlichkeit. Er beklagt als alter Linker die Passivität des Volkes, dass sich nicht wehrt und den finanziellen Exodus in Kauf nimmt. Der lautlose Protest der Geschäftsinhaber und Cafébetreiber folgt den Briefen, denn noch mehr alte Männer wählen den Freitod. Alle behaupten in ihren Briefen, dass sie der „Bewegung der Selbstmörder“ angehören. Natürlich fragt sich die Polizei, wie die Briefe über Mittelsmänner in die Öffentlichkeit gelangen können. Flugblattaktionen werden die Straßen fluten. Die Polizei hat keine Mittel den Aufruhr zu stoppen, denn nichts davon, was die Bewegung unternimmt, verstößt gegen Gesetze.
Im Raum steht, dass die Reichen an dieser Pandemie noch verdienen werden und die Armen wie immer Hunger leiden. Als dann jedoch ein Impfstofftransport behindert wird, der Fahrer durch eine Brechstange zu Tode kommt und die Ampullen vernichtet werden, muss die Polizei und Charitos Team reagieren. Die Bewegung der alten Männer wird von den „Kämpfern von 2021“ abgelöst. Doch was wollen diese aggressiven Leute? Sie sind der Meinung, dass die Impfstoffe das Volk versklaven sollen, damit die Reichen sie lenken können, wie es ihnen gefällt. Die Alten protestieren gegen die Jungen, die sich als Verschwörungstheoretiker strafbar machen, denn ein weiterer Mord an Epidemiologen, der die Herdenimmunität als Lösung aller Probleme ansieht, wird folgen.

Ist die kaum aufregende Handlung recht einfach konstruiert, so erinnern sich die Lesenden doch durch Petros Makaris authentische Pandemie – Schilderung an die eigene Zeit im Lockdown, der in Deutschland nie so streng war wie in Griechenland, Spanien oder gar Frankreich. Natürlich fragt man sich auch in Deutschland, warum sich das Personal im Gesundheitswesen zum Teil bis heute nicht impfen lässt. Für Petros Markaris liegen die Stoffe sozusagen vor der Haustür. Er versucht, auch in diesem Krimi alle Konflikte nicht eindimensional aufzuarbeiten und trotz hohem Alter, unterschiedlichen Ansichten Raum zu geben.