Cornelia Achenbach: Darüber reden wir später, Wunderraum by Wilhelm Goldmann Verlag, München 2020, 226 Seiten, €20,00, 978-3-336-54817-0

„Und das wirft sie sich in manchen Momenten vor. Nicht mutig genug gewesen zu sein. Das Leben einfach abgesessen zu haben und sich am Ende fragen zu müssen, was ihr wohl entgangen sein mag.“

Um Margrets Leben dreht sich dieser schmale Roman, um ein Hausfrauendasein mit Teilzeitjob, Häuschen, Mann und zwei Kindern, die allerdings bereits das Zuhause verlassen haben. Anna arbeitet als Volontärin, Journalistin und Michael geht seiner Arbeit als Augenarzt in Hamburg nach.
Als Gert, Margrets Mann, einen Schlaganfall im Garten erleidet, sorgt der Nachbar für schnelle Hilfe. Nun liegt der in den letzten Jahren wortkarg gewordene Gert im Koma und Margret spürt verunsichert ihren Gefühlen nach:

„Da ist nur eine Leere, ein Hohlraum, in dem man sich verlieren kann. Sie ruft in sich hinein, aber nichts kommt zurück.“

Ihr Bruder Bernhard fährt mit teurem Auto vor, will der jüngeren Schwester zur Seite stehen und bringt ihr auch noch den Erinnerungskoffer ihrer Mutter. Der Sohn hat alles Persönliche nach dem Tod der Mutter zusammengetragen, inklusive der wenigen Aufzeichnungen. Die älteste Schwester Ingrid hat den Kontakt zur Familie generell abgebrochen. Nur mit dem Neffen Michael tauscht sie E-Mails.

Margret wandert nun in ihren Gedanken in die Vergangenheit zurück, sie rekonstruiert das schwierige Leben ihrer Mutter in den Kriegszeiten, die eigene Kindheit und sie trauert melancholisch verpassten Momenten hinterher. Dass sie mit Gert, der als Forstwirt arbeitete, auf dem toten Gleis Häuschen mit Zaun an einem Wendehammer enden würde, war eigentlich vorauszusehen. Trotz aller Freiheiten entschieden sich viele in dieser Generation für den materiellen Wohlstand und die Sicherheit. Was hätte anderes passieren können? Als Germanistikstudentin hat sie nach der ersten Schwangerschaft trotz Aufmunterungen und Unterstützungen des Ehemannes, was sicher im schönen Schwarzwald um diese Zeit nicht konform mit der Meinung der Mehrheit ging, ihre Doktorarbeit nie beendet. Das zweite Kind kam und um finanziell auch etwas beizutragen, hat Margret eine Teilzeitstelle in einem Spielwarenladen angenommen. Nur ein Mann, Andreas, Literaturdozent an der Uni, hatte Bedeutung für sie, obwohl sie nie richtig verstanden hat, warum. Es kam nie zu intimer Nähe und doch verband die beiden etwas, was ihn nach Margrets zweiter Schwangerschaft nicht mehr interessierte. Zur Beerdigung seiner Mutter nähert sich Margret diesem Mann nach dreißig Jahren und erlebt eine bittere Enttäuschung. Ein schmales Novellen-Büchlein hatte Margret mit Andreas‘ Hilfe veröffentlicht, immer war sie zu zaghaft, zu feige, um einen weiteren Roman zu schreiben, eine echte berufliche Karriere zu beginnen.

Beim Lesen schwankt der Leser zwischen Sympathie und Antipathie für diese passive Hauptfigur, die beobachtend ihre Umgebung beschreibt, aber nie etwas für sich selbst einfordert oder umsetzt. Warum sie sich diesen schmerzlichen Trip in vergangene unwiderrufliche Zeiten antut, bleibt offen. Der Sohn heiratet, sie kennt die Schwiegertochter kaum. Die Tochter hat einen Freund, einen Schriftsteller. Sie liest sein Buch und ist doch distanziert.
Warum verlieren sich die Familienmitglieder so aus den Augen? Warum finden keine Gespräche zwischen den Eheleuten statt und vor allem, warum nehmen sie sich keine Zeit zum gedanklichen Austausch? Wenn gesagt wird, das bereden wir später, wird es in den meisten Fällen, nie getan.

In vielen Momenten beschreibt Cornelia Achenbach mit ihrer klaren unverstellten Erzählweise ganz genau die Tiefen des Alltagslebens, was schmerzt. Wenn etwas ausgesprochen wird, dann führt es in der Familie von Margret zu persönlichen Verletzungen. So spricht Gert kein Wort mehr mit der Tochter, nachdem diese ihm seine „Geschwätz“ über Politik vorgeworfen hat. Auch Margret braucht die innere Stimme, um über sich nachdenken zu können. Mag Ingrid am Ende über vieles reden, den inneren Konflikt, den Margret mit sich austrägt, wird sie nicht lösen können.

Warum überwiegt das Ungesagte in dieser Nachkriegsfamilie und nicht die positiven Augenblicke? Gewühlt wird immer nur im Negativen, in Erinnerungen, in denen es um Zurückweisung, Gewalt oder Ablehnung geht. Sogar der eigene Bruder offenbart der Schwester nicht die Wahrheit über sein eigenes Schicksal und das seiner Frau.

Tiefgründige, lohnenswerte Lektüre, die noch lang nachklingt!