Ingrid Noll: Tea Time, Diogenes Verlag, Zürich 2022, 319 Seiten, €25,00, 978-3-257-07214-3

„Den Gedanken an Andreas Haase konnte ich immer nur kurzfristig verdrängen. Die Ungewissheit, ob er genesen, krank oder tot war, bedrückte mich Tag und Nacht. Vor allem auch die Angst, ob er Rache nehmen würde. Über kurz oder lang würde er vielleicht ahnen, wie übel wir ihm mitgespielt hatten.“

Neben dem „Club der Teufelinnen“, in dem sich Frauen eher an ihren untreuen Männern rächen, erfindet die erstaunlich produktive 87-jährige Autorin Ingrid Noll nun den „Club der Spinnerinnen“, dem Frauen angehören, die aktiv ihre Marotten pflegen. Ganz besonders originelle Ticks und handfeste Neurosen haben sechs Frauen aus Weinheim. Franzi macht ihrem Namen alle Ehre und kann es nicht ausstehen, wenn Teppichfransen oder gar Ponys als Haarfrisuren nicht ordentlich ausgekämmt sich und schnurgerade liegen oder fallen. Noch kurioser ist die Macke der Ich-Erzählerin dieser skurrilen Geschichte. Nina, die Apothekenhelferin, kann nicht schlafen, wenn sie nicht stramm in ihre Zudecke eingewickelt ist. Kein Körperteil darf herausschauen, ein Überbleibsel eines Kindertraumas. Der Nachteil, Ninas Beziehungen sind oft an diesem Ritual gescheitert. Nina und Franzi, beide Frauen sind Anfang Dreißig, leben in einem alten Fachwerkhaus im Zentrum der Stadt. Durch Franzis Beruf, sie ist Schulsekretärin, gesellen sich zwei Lehrerinnen zum Club; Corinna, die gern fremde Familien beobachtet und deren Kollegin, die gelenkige Schlangenfrau und Ethiklehrerin Eva, deren Moral sehr locker ist. Und weiter im Bunde, Heide, bei der Stadt angestellt, im Nebenjob Feierrednerin, und deren Freundin, die Supermarktkassiererin und Wolkendeuterin Jelena. Alle Frauen stellen sich die gleichen Fragen: Wie lebt es sich am besten? Ist Freundschaft wichtiger als eine Kleinfamilie, die nur immer Forderungen insbesondere an die Mutter stellt? Wie frei darf frau sein? Mit viel Prosecco, noch niemand redet zu Beginn von Tea Time, wird im Club gelacht, getratscht und vor allem über Männer hergezogen. Der Club soll daher auch feminin bleiben. Wenn die Frauen allerdings gewusst hätten, welche Macke Ninas neuer Nachbar, Yves Baumann, der einsame Wolf, hat, würden sie vielleicht ihre Meinung ändern.
Wenn Nina unterwegs ist, auch bei Picknicks mit dem Club, fotografiert die junge Frau Kräuter, die sonst niemand beachtet. Und Nina neigt dazu, auch mal Dinge einfach mitgehen zu lassen.
Als sie eines Nachmittags von einem Blümchen zum nächsten läuft, vergisst sie ihre Handtasche. Der ehrliche, wie angetrunkene Finder lädt sie in seine Wohnung ein und glaubt, als Finderlohn sexuelle Gefälligkeiten einfordern zu können. Andreas Hase heißt der fiese Typ, der einst als Uhrmacher tätig war und nun von AGL II lebt. Er ist ausgerechnet auch noch der Ex-Mann von Jelena. Nina weiß sich zu helfen und schubst den Grapscher ordentlich von sich. Beim Fallen hat sich Hase allerdings den Kopf gestoßen. Nina holt Franzi zu Hilfe, die Hases Handy entsorgt. Tot ist der Mann allerdings nicht, doch jedes Mal wenn er sich alkoholisiert Nina erneut nähert, entsorgen die Frauen ihn, in der Hoffnung, dass er sich in Luft auflöst. Passiert allerdings nicht. Als Hase selbst ins Visier der Polizei durch eine gefundene Wasserleiche gerät, schöpfen die Frauen Hoffnung. Doch zu früh gefreut. Hase steht wieder vor der Tür und nervt. Nina und Franzi, mittlerweile ist auch Yves von der Partie, müssen irgendwie nachhelfen, vielleicht mit einer bestimmten Teemischung, aber auch das ist nicht ungefährlich.

Ingrid Noll erzählt ihre locker leichte Krimigeschichte vor dem Hintergrund ihres Heimatortes Weinheim. Da ist der Staudengarten, der Hermannshof und natürlich der Fluss Weschnitz. In einem Interview sagte die betagte Autorin, dass sie hofft, dass die Weinheimer die Geschichte mögen und wenn nicht, kümmert es Ingrid Noll sicher wenig. Ihrem Text merkt man in gewisser Weise ihr Alter an, denn wie lang habe ich nicht mehr das Wort „Poussierstängel“ gehört und die Zitate aus dem „Goldenen Familienbuch“ wirken auch leicht angestaubt, sind aber immer noch wirksam.