Beatrix Kramlovsky: Frau in den Wellen, hanserblau in der Carl Hanser Verlags GmbH, München 2022, 317 Seiten, €25,00, 978-3-446-27479-2

„Heimat war es nicht. Joni gab zu, dass ihr Bedürfnis danach nicht groß war. Sie liebte bestimmte Menschen und ihre Nähe, in welcher Art auch immer. Aber mit Begriffen wie Wurzeln, Muttererde, Vaterland konnte sie wenig anfangen.“

Geboren im Jahr 1966 in Wien lebt Joni ( benannt nach Joni Mitchell ) Lanka ein außergewöhnlich weltoffenes wie spannendes Leben. Von den Eltern eher zur Tante abgeschoben, bekommt sie dort die Liebe, die die Mutter ihr nicht geben konnte. Früh verheiratet und schwanger gleitet Joni mit ihrem Mann, der im Diplomatischen Dienst tätig ist, in das Leben einer Außenseiterin, dass sie immer führen wird. Sie erlebt den Mauerfall in der DDR, lässt sich scheiden, bildet sich konsequent weiter und ergreift die erste Gelegenheit, um beruflich im soziologischen Bereich Fuß zu fassen. Was sie genau arbeitet, wird nicht so ganz klar, immerhin benötigt sie zeitweilig einen Bodygard und ab und zu schimmern Bereiche, wie Klimakrise, Migration oder Frauenrechte durch. Joni jedenfalls jettet um den Erdball und folgt ihren Interessen. Indessen werden ihre Kinder ( Stefanie und Manuel ) vom Ehemann, den Schwiegereltern und der zweiten Frau von Jonis Ex-Mann aufgezogen. Immer im Kontakt mit den Kindern verlieren diese nie die Mutter aus den Augen.

Beatrix Kramlovsky zeichnet den Weg einer klugen, auch finanziell unabhängigen Frau, die einen ausgewählten Kreis von Freunden aus unterschiedlichsten Ländern, Frauen, Männer, Künstler, Wissenschaftler, um sich scharrt und in ihrer Tätigkeit weltweit und auf höchsten Regierungsebenen ihre Erfüllung findet. Die österreichische Autorin erzählt jedoch nicht chronologisch, sondern springt zwischen einzelnen Lebensabschnitten ihrer Hauptfigur hin und her. Durchbrochen werden die Schilderungen durch Protokolle, in denen Jonis Familienmitglieder von ihr erzählen, denn es wurde Anklage erhoben. Nicht gegen sie, sondern gegen unbekannt im Internet.

Der rote Faden, der sich durch die Handlung zieht, umfasst die Zeit um 2016. Der Brexit wird kommen, Donald Trump und Hillary Clinton sind Präsidentschaftskandidaten. Es scheint eine Zeit des Umbruchs zu sein, denn die Lesenden wissen, wer letztendlich als unsäglicher, egomanischer, nazistischer Präsident der USA gewählt wird, der das unverschämte Lügen staatsfähig macht.
Joni hat sich mittlerweile neben ihrem Haus in Spanien, ein Haus in Kanada in einer malerischen Umgebung gekauft. Eigentlich wollte sie mit ihrer Tochter ein paar Tage in New York verbringen, doch diese traut sich nicht, der Mutter abzusagen, denn sie ist schwanger und sie hat nach einer Fehlgeburt Angst vor der Anstrengung. So lädt die Mutter ihren sechzehnjährigen Sohn nach Kanada ein und hofft, endlich viel Zeit mit dem pubertierenden, wie doch etwas schwierigen Kind zu verbringen. Er soll den neuen Mann in ihrem Leben, einen hervorragenden unabhängigen Wissenschaftler kennenlernen. Der Sohn blüht auf, erlebt mit Sam die Natur, wohnt im großen Haus in traumhafter Landschaft und begeht den unverzeihlichen Fehler, seiner Clique in der Klasse gegen die Bitten der Mutter, Fotos zu schicken. Eine nie geahnter Shitstorm bricht nun über Joni herein, angeheizt durch rechte Kreise, die auch nicht vor dem Leben ihres Sohnes halt machen.

Die Freiheit nehme ich mir, scheint in bestimmten reaktionären Kreisen in Österreich nur den Männern vorbehalten und für Frauen bleibt nur Kinder, Küche und Kirche. Auf schmerzlichste Art und Weise muss Joni mit ihrer Familie diese Erfahrung durchleben und ist doch 2016 absolut hilflos, wenn die Hasstiraden gegen ihre eigene Person im Netz erscheinen, vervielfacht werden und bleiben. Das mag sich rechtlich verändert haben und doch prangert Beatrix Kramlovsky eindeutig eine Gesellschaft an, die glaubt, über Menschen, die sie nicht kennt, ein Urteil fällen zu dürfen und die in der globalen, immer komplizierter werdenden Welt den Überblick verloren hat und gnadenlos rassistisch wie intolerant blind um sich schlägt.

Absolut lesenswert!