Tess Gerritsen: Mutterherz, Übersetzt von Andreas Jäger, Limes Verlag, München 2022, 384 Seiten, €22,00, 978-3-8090-2756-0
„Jane ist lange still, und ich merke, dass sie über etwas anderes nachdenkt. So läuft es immer. Ich rede, und ihre Gedanken schweifen ab. Zu Dingen, die wichtiger sind als das, was ihre Mutter zu sagen hat. Jetzt wird es nicht mehr lange dauern, bis sie einen Grund findet, diese langweilige Unterhaltung zu beenden und sich davonzumachen.“
Doch diesmal irrt Angela, die hartnäckige und ab und zu wirklich penetrant nervende Mutter von Detective Jane Rizzoli, denn Angela hat der Tochter, ohne es zu ahnen, einen wichtigen Hinweis gegeben.
Die Geschichte beginnt mit einem Unfall in Boston. Die Kunststudentin Amy wird von einem Auto auf dem Fußgängerweg angefahren und schwer verletzt. Amys Mutter arbeitet als Krankenschwester, ihr Vater ist Arzt, gepflegt jedoch wird sie im Pilgrim Hospital von Sofia Suarez. Die zweiundfünfzigjährige, völlig unbescholtene Witwe wird brutal in ihrer Wohnung ermordet. Hat sie ihren Mörder bei einem Einbruch überrascht? Allerdings findet Ermittlerin Jane Glasscherben, die darauf hinweisen, dass das Fenster von der Innenseite eingeschlagen wurde.
Tess Gerritsen lässt ihre multiperspektivische Geschichte aus der Sicht der Frauen Amy, Angela, Jane und Pathologin Dr. Maura Isles erzählen.
Im Wohnviertel von Angela Rizzoli ist die sechzehnjährige Tricia Talley verschwunden. Allerdings ist sie schon öfters von Zuhause abgehauen. Angela macht wieder alle verrückt, einschließlich ihre Tochter. Und dann sind da auch noch die neuen Nachbarn, die Greens, die sich scheinbar von allen verstecken. Angela kann es nicht lassen und beobachtet vor allem, was bei den Greens und auf der Straße so abläuft. Immerhin fährt hier schon seit Tagen ein weißer Lieferwagen auf und ab. Janes Mutter wird sich mit ihrer Neugier bald in Lebensgefahr befinden. Inzwischen jedoch ist Tricia wieder aufgetaucht und der Grund, warum sie so einen riesigen Streit mit ihrer Mutter hatte, wird auch bald aufgeklärt.
Als die Polizei Sofia Suarez Laptop ausfindig machen kann, stellt sich heraus, dass sie sich mit einem Mordfall, der vor neunzehn Jahren geschah, vor ihrem tragischen Tod beschäftigt hatte. Doch was hat das Verbrechen an einer Englischprofessorin und der Entführung ihrer dreijährigen Tochter Lily in Maine mit dem Mord an Sofia zu tun? Verdächtigt wurde damals der Ex-Ehemann der Professorin, James Creighton. Doch die Polizei konnte ihm nichts nachweisen.
Seit geraumer Zeit spürt Amy, die lang im Krankenhaus lag und Zeit in der Reha verbracht hatte, dass ein Mann sie beobachtet und versucht, Kontakt zu ihr aufzunehmen.
Alle gut konstruierten Handlungsebenen werden sich angereichert mit allen notwendigen Informationen am Ende zu einem logischen Tathergang in Boston, aber auch vor Jahren in Maine zusammenfügen. Geschickt lenkt die bekannte amerikanische Autorin die Aufmerksamkeit auf mögliche männliche Täter, die jedoch selbst Opfer wurden.
Im Zentrum allerdings steht das enge und oft auch kritische Verhältnis von Müttern und Töchtern.
Da sind die Mütter, die sich wie Löwinnen vor ihre Kinder stellen, die, die wissen, dass sie ihren Ehemännern ein Kuckuckskind ins Nest gelegt haben und die, die aufgrund von frühen traumatischen Erlebnissen glauben, sie müssten, egal worum es geht, loyal an der Seite ihrer Mutter stehen und ihre irrationalen Handlungen stützen und verheimlichen.
Für die komischen Momente in dieser doch eher tragischen Handlung sorgt allerdings Janes Mutter Angela, die auch in den schlimmsten Momenten klar denken kann und weiterhin neugierig und aufmerksam bleibt.
Absolut spannend, tiefgründig und vor allem beste Strandlektüre, wenn man Krimis mag!