Gillian McAllister: Just Another Missing People – Findest du sie, wirst du alles verlieren, Aus dem Englischen von Marie-Luise Bezzenberger, Piper Verlag, München 2024, 442 Seiten, €17,00, 978-3-492-06417-0
„Großer Gott. Das hat sie nicht verdient. Sie hat doch immer versucht zu tun, was eine gute Mutter und eine gute Polizistin täte – oder etwa nicht? Heute jedoch konkurrieren die beiden miteinander.“
Immer wenn die Familie gemütlich im Restaurant zusammensitzt, kann DCI Julia Day, die ihre Arbeit bei der Polizei sehr ernst nimmt, damit rechnen, dass ihr Handy klingelt und wieder jemand verschwunden ist. Auch diesmal ist das in Portishead der Fall. Die zweiundzwanzigjährige Olivia Johnson wird von ihren WG – Mitbewohnerinnen vermisst, dabei ist sie gerade mal vor einem Tag in die Wohnung eingezogen. Später werden die Mitbewohnerinnen zugeben, dass sie die junge Frau nur gehört, aber nie gesehen haben. Seltsam ist auch, dass Olivia wenig Kleidung mitgebracht hat und vor allem all ihre Hosen oder auch T-Shirts unterschiedliche Größen aufweisen.
Als sich Julia auf den Weg nach Hause begeben will, wird sie in ihrem eigenen Auto von einem Mann mit Skimaske bedroht. Er kennt ihr schlimmstes Geheimnis und erpresst sie.
Julia hatte vor gut einem Jahr eine Straftat vereitelt, die ihre fünfzehnjährige Tochter Genevieve begangen hatte. In einem Parkhaus, Julia war nur wenige Meter entfernt, hat der Kleinkriminelle Zac Genevieve überfallen und versucht auszurauben. In Notwehr hat sie ihn mit ihrem Schlüssel in der abwehrenden Hand stark verletzt. Mutter und Tochter glaubten nach ihrer Flucht nun, dass der Mann tot sei. Allerdings verstarb er erst nach einer Sepsis Tage später. Julia befürchtete, dass ihre Tochter für diese unangemessene Tat zehn Jahre Gefängnis bekommen hätte. Doch nun hatte sich auch die korrekte Julia strafbar gemacht. Und es kommt noch schlimmer. Der vermummte Mann in Julias Auto kennt den Hergang der Tat und zwingt Julia dazu, in Olivias Wohnung einen Zigarettenstummel und ein Glas zu deponieren. Er will, dass ein gewisser Matthew James ins Fadenkreuz der Polizei gerät.
Nichts in diesem absolut spannenden Krimi ist so, wie es Lesende vermuten, denn Gillian McAllister zeigt, wie man mit geschaffenen Identitäten auch die Polizeiermittlungen und die Lesenden verwirren kann. Nicht nur aus Julias Perspektive wird erzählt, auch Emma und Lewis kommen zu Wort. Emma ist die Mutter von Matthew James, der seinen Namen, nachdem er ebenfalls in einen Vermisstenfall verwickelt war, gewechselt hat. Früher hieß er Andrew Zamos und war der Freund von Sadie. Auch sie ist verschwunden. Lewis, aber dies wird erst sehr spät klar, ist der Vater von Sadie, um die er und seine Frau unendlich trauern.
Julia jedenfalls deponiert entgegen all ihren Prinzipien die Beweismittel gegen Matthew James in Olivias Zimmer. Die Ermittlerin hadert mit sich und will unbedingt den Mann finden, der sie bedroht und ihre berufliche Existenz aufs Spiel setzt. Und sie will zu diesem Zeitpunkt auch Olivia unbedingt aufspüren.
Gillian McAllister umkreist in ihrem absolut spannend und trickreich konstruierten Roman zum einen das Thema Polizei, Justiz und Bestechlichkeit und zum anderen die starke Bindung zwischen Mutter und Kind. Welche Mutter würde nicht für ihr Kind alles tun, damit diesem nicht der Weg in die Zukunft verbaut wird? Julia kämpft bis zum Ende darum, dass Genevieve trotz Androhungen nicht vor Gericht gestellt wird und auch Emma versucht zu ergründen, was ihr Sohn mit den, es werden noch mehr, verschwundenen Frauen zu tun haben könnte. Und auch Lewis versucht, auch mit kriminellen Mitteln, herauszufinden, was mit seiner Tochter geschehen ist.
Psychologisch genau durchdringt die englische Autorin ihre Figuren, um sie glaubhaft agieren zu lassen, und den Lesenden hinters Licht zu führen.
Spannend!